Sieben
und gleichgesinnten Generation von Forschern obliegen, das Tor ein Stückchen weiter zu öffnen.«
Nun wirkte sie so, als wende sie sich direkt an Doyle. Er spürte die Kraft ihres Blicks, als sie ihn freundlich in Augenschein nahm.
»Wie kann man dies erreichen? werden Sie sich fragen. Stellen Sie sich vor, Sie sind Tourist und reisen durch ein Ihnen wohl-bekanntes Land; ein Land, in dem Sie das ganze Leben verbracht haben. Sie sind äußerst vertraut mit seinen Straßen, Flüssen, Städten, Menschen und Gebräuchen. Es stellt die Summe all dessen dar, was Sie kennen. Deswegen gehen Sie natürlich davon aus, daß dies auch die Summe all dessen ist, was es ausmacht. Dann stellen Sie sich vor, daß Sie, während Sie auf Reisen sind, ziemlich unerwartet die Grenze eines anderen Landes erreichen. Eines Landes, das in Ihrer beeindruckenden Landkartensammlung nirgendwo verzeichnet ist. Es ist auf allen Seiten von unüberwindlichen Gebirgsketten umgeben, so daß Sie nicht fähig sind, von Ihrer Position aus einen Blick auf dieses Land zu werfen. Aber Sie haben fest vor/ihm einen Besuch abzustatten. Sie sind begeistert. Sie haben Mut. Sie haben auch - in Ermangelung eines treffenderen Begriffs - einen gewissen Glauben. Was also müssen Sie tun?«
Den Berg ersteigen, dachte Doyle. Die Blavatsky nickte.
»Und vergessen Sie nicht«, sagte sie, »wenn der Pfad unpassierbar erscheint, wenn Ihre Aussichten zunichte sind, wenn Ihnen gar der Tod droht: Sie werden keine andere Wahl haben, als den Berg niederzureißen. Auf diese Weise -und nur auf diese Weise - werden Sie das Neuland betreten.«
Mit dieser verblüffenden Empfehlung beendete HPB ihren Vortrag. Der Applaus fiel kurz und freundlich aus. Die Blavatsky deutete eine Verbeugung an. Auf ihren Lippen lag ein nicht unironisches Lächeln, das Doyle zu sagen schien: Sie applaudieren mir nicht, weil dies eigentlich nicht
meine
Worte sind. Ich bin nur ein Spiegel für die lächerliche Selbstherrlichkeit unserer zutiefst bigotten Gesellschaft und gratuliere Ihnen, da Sie es durchschaut haben.
Der größte Teil der Zuhörer strömte hinaus, zufrieden mit dem Abend. Manche waren selbstgefällig abweisend, andere beglückwünschten sich zu ihrer neuen geistigen Offenheit. Einige waren zu höheren Gedanken stimuliert, die im Erforschen der Seele enden würden, um für den größten Teil des Abends anzudauern, oder in ein, zwei Fällen gar bis zum nächsten Tag, bevor die alltägliche Routine das rastlose Sichrühren wieder abstumpfte.
Doyle, der mit der Frau reden mußte, hielt sich am Rand des Akoluthenkreises auf, der sich nun um die Blavatsky drängte und nach weiteren jener direkten Wahrheiten hungerte, in denen sie reiste. Ein Helfer in den frühen Zwanzigern - Doyle hielt ihn aufgrund seines andächtigen Verhaltens für einen solchen - baute in der Nähe einen Tisch mit den Werken der Blavatsky auf und bot zu erstaunlich niedrigen Preisen die Bände an, mit denen er bereits vertraut war.
Die Fragen, denen sie sich stellen mußte, waren ernst, aber auch berechenbar. Sie beantwortete sie mit Geist und in einer Kürze, die schon an Unhöflichkeit grenzte. Sie gehörte eindeutig nicht zu jenen Charismatikern, die Doyle hin und wieder über den Weg gelaufen waren und deren ausdrückliches Ziel darin bestand, unter ihren Anhängern eine gefühlsmäßige und schließlich finanzielle Abhängigkeit aufzubauen. Sie war mehr oder weniger unzufrieden mit ihrem Ruf als gesellschaftlich kuriose Figur und an den glamourösen, selbsterhöhenden Aspekten des Lehrer-Schüler-Verhältnisses deutlich desinteressiert. Dies, dachte Doyle, ist ihre Gabe. Sie rührt den Topf um. Was der einzelne mit den Informationen anfängt, ist nicht ihre Sache. Sie ist sensibel, pragmatisch und äußert kaum Appelle.
»Was sagen Sie zur Vielfalt der Religionen?«
»Nichts. Es gibt keine Religion, die über der Wahrheit steht.«
»Wieso glauben Sie, daß die Führer anderer Religionen sich vor dem fürchten, was Sie zu sagen haben?«
»Weil sie selbstgerecht und materialistisch sind.«
»Behaupten Sie, Jesus war nicht Gottes Sohn?«
»Nein. Wir sind alle Kinder Gottes.«
»Aber behaupten Sie, er sei nicht göttlich gewesen?«
»Ganz im Gegenteil. Nächste Frage.«
»Was ist mit den Freimaurern?«
»Jedesmal, wenn man mich nach den Freimaurern fragt, muß ich gute Nacht sagen. Lesen Sie meine Bücher und bemühen Sie sich, wachzubleiben. Vielen Dank.«
Damit zog sie sich durch eine Tür neben der
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