Sieben
Herrscher, den niemand in Frage stellt.
Doch dann, eines Tages, als er fünf Jahre alt ist, verschwindet die angebetete und geliebte Königsmutter aus seinem Blickfeld, und es vergehen ein zweiter und ein dritter Tag - ohne irgendeine Erklärung. Nicht einmal die stürmische Wut des Jungen, die stärkste Waffe seines beträchtlichen Arsenals, reicht aus, um sie wieder zurückzuholen. Keiner seiner Untertanen nennt ihm einen Grund für ihre Abwesenheit. Man zwinkert sich nur zu und lächelt geheimnisvoll. - Bis zum vierten Tag, als er wieder Zutritt in ihren Schlafraum hat und zu seiner Verwunderung und seinem Entsetzen entdeckt, daß ein scheußlicher Usurpator in ihren Armen liegt. Hilflos, faltig, rotgesichtig, pinkelnd und miauend wie eine Katze. Ein Säugling. Der Junge durchschaut die jämmerlich transparenten, manipulativen Täuschungsmanöver dieses Unholdes auf der Stelle, doch er ist wie gelähmt, als er sieht, daß seine Mutter dem winzigen Dämon völlig verfallen scheint. Und das Ungeheuer hat die Frechheit, vor seinen Augen an der Brust seiner Mutter zu liegen und ihn zu verhöhnen. Sie verlangt und erhält ihre liebevolle Aufmerksamkeit, die in seinem klaren Verständnis von der Welt einzig für ihn - und zwar für
ihn allein
- da ist.«
»Sie?« fragte Doyle.
Sparks schüttelte den Kopf. »Eine Schwester. Sie hat sogar einen Namen. Madelaine Rose ... Der Sonnenkönig ist klug genug, um zu erkennen, daß es am besten ist, den Rückzug anzutreten, wenn der Feind eine überlegene Position hält - um seine Truppen für einen anderen Tag zu ordnen. Er lächelt und äußert keinen Protest gegen diese scheußliche Beleidigung, versteht aber sehr gut, welcher Gefahr er gegenübersteht. Er verbirgt seinen Abscheu darüber, daß ein so winziges, kraftloses Geschöpf genug Einfluß erzeugen kann, um seine glorreiche Herrschaft zu bedrohen. Wie kann dieser widerwärtige Incubus diese Frau, die nie etwas anderes als den größten, guten Sinn bewiesen hat, ihn ohne Ende und Vorbehalte anzubeten, so vollkommen in ihren Bann gezogen haben? Der Junge verläßt den Raum, sein Weltbild ist in den Grundfesten erschüttert. Er gibt niemandem auch nur den geringsten Hinweis auf seine Demütigung. Sein Überlebensinstinkt sagt ihm, daß die sicherste Strategie gegen diese beispiellose Herausforderung an seine absolute Herrschaft darin besteht, seine Untertanen weiterhin glauben zu machen, daß sich im ganzen Königreich - oder im Inneren des Königs -nichts verändert hat. Er wartet eine Woche, zwei Wochen, einen Monat, um zu sehen, ob die geistesgestörte Verliebtheit seiner Mutter zur Prätendentin vergehen wird wie ein Fieber. Er schätzt seine Widersacherin leidenschaftslos ab, befriedigt seine Neugier an ihrer Gestalt und ihren offensichtlichen Schwächen und macht seine Mutter glauben, daß er das abstoßende, wurmähnliche Bündel ebenso unwiderstehlich findet wie sie. Er erträgt die kollektive Versklavung seiner Untertanen durch die hypnotische Verlockung des Ungeheuers: Die dämlichen Weiber haben nichts anderes mehr im Sinn, als unaufhörlich mit ihm über das Ding zu tratschen! Er läßt sie reden, schaut zu, wie seine Rivalin sich in ihrer Zuneigung sonnt und arbeitet während all dieser Zeit an seiner Rache. Er schmeichelt sich in das Vertrauen seiner Mutter ein, ermutigt sie, sich mit ihm über das Ding zu unterhalten, weil er hofft, auf diese Weise den Schlüssel zu dessen unheimlichem Reiz zu finden. Er macht sich mit den Routinen der kleinen Dämonin vertraut - Schlafen, Aufwachen, Weinen, Essen, Scheißen -, mit allem, wozu sie fähig ist, doch das dunkle Geheimnis ihres Magnetismus bleibt. Die Verachtung, die dieses Wissen mit sich bringt, dient nur dazu, seinen Entschluß zu kräftigen, etwas zu unternehmen: etwas Ausschlaggebendes, und zwar rasch und gnadenlos.
Kurz darauf, in einer warmen Sommernacht, als das Haus zur Ruhe gegangen ist, schleicht er sich leise in die Räume seiner Mutter. Sie liegt im Bett, schläft tief. Das Ungeheuer liegt in der Wiege auf dem Rücken, lächelt zahnlos vor sich hin, gurrt, zappelt fröhlich mit Armen und Beinen, als mache es der hochnäsige Glaube an seine Unverletzlichkeit immun gegen den Verrat, von dem der Sonnenkönig inzwischen weiß, daß er hinter jedem freundlichen Gesicht lauert. Von einem Mondscheinstrahl beleuchtet, schaut ihm das Ding in die Augen, als er auf es hinabsieht. Einen Augenblick später muß er sich entscheiden - er wird von Scham und
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