Sieben
Gewissensbissen überflutet, weil er das kleine Geschöpf haßt. Er möchte den Säugling nehmen und in den Armen halten, seine Glückseligkeit spüren und ihn in eine warme, wohltätige, heilende Sphäre der Liebe und des Vergebens einhüllen. Als er spürt, daß auch er unerbittlich in den Bannkreis des Ungeheuers zu geraten droht, in den er vor sich schon so viele hat gezogen werden sehen, reißt er im letzten Moment seinen Blick von ihm los. Er ist entsetzt, wie nahe er daran gewesen war, sich von dem Ding in die Falle locken zu lassen. Zum ersten Mal versteht er voll und ganz die Gefahr, die dieser böse Geist darstellt.«
»Nein
...«,
entfuhr es Doyle.
»Er hebt ein kleines Seidenkissen hoch, legt es auf das Gesicht des Dings und drückt so lange zu, bis es aufhört, mit den Armen und Beinen zu zappeln und sich nicht mehr rührt. Es gibt kein einziges Geräusch von sich, doch als es stirbt, wacht die Mutter mit einem Schrei auf! Wie bösartig das Ungeheuer sie doch im Griff gehabt hat! Es war sogar noch in dem Moment mit der Frau im Bunde, als das Leben seinen winzigen Körper verließ. Der Sonnenkönig rennt aus dem Zimmer - seine Mutter hat ihn erkannt, er weiß genau, daß sie ihn über die Wiege gebeugt gesehen hat -, doch als sie zum Bett des Ungeheuers geht und die reglosen Überbleibsel seiner mitternächtlichen Arbeit findet, gerät ihr Verstand durcheinander. Sie stößt ein derart jämmerliches Klagen aus, daß die Wände des Hauses, wäre es ihnen erlaubt, sich ungehindert in die Nacht zu erheben, die Himmelspforte zerschmettert hätten. Während der Junge still in seinem Bett liegt, treiben die trockenen Schreie seiner Mutter eine Nadel in die vereisten Tiefen seines Herzens. Es ist ein Klang, an den er sich noch viele Jahre später erinnern wird, und er erfreut ihn mehr als tausend Küsse.
Seine Mutter bricht zusammen. Nur wenige Minuten nachdem man sie gefunden hat, schwimmt das Haus in Tränen der Trauer. Zur Überraschung des Königs erhält er den mitfühlenden Trost der ihm abgeworbenen Untertanen und stellt sich vor, daß diese dämlichen Tölpel glauben, er sei ebenso traurig wie sie. Die Verwirrung, mit der er darauf reagiert, scheint diese Überzeugung zu bestätigen, denn sie drücken ihn wie nie zuvor an ihre schwellenden Busen. Seine Mutter entschwindet erneut in bewachte Abgeschiedenheit. Diesmal sind die Frauen sehr eifrig darauf bedacht, ihn über ihren Zustand auf dem laufenden zu halten. Heute hatte sie einen Rückfall; die Nacht war nicht allzu gut für sie; sie ist jetzt eingeschlafen; heute morgen hat sie wieder nichts gegessen. Er frohlockt über die Inbrunst, mit der die Frau ihre gerechte Strafe für ihren Verrat anzunehmen scheint. Eine Woche vergeht, dann kehrt sein Vater aus seiner fernen Stellung aus Übersee zurück. Er hat den kleinen Thronräuber nie zu Gesicht bekommen. Sein Blick ist von Mitleid umwölkt, als er den jungen König begrüßt, doch nachdem er eine Stunde hinter der verschlossenen Tür im Zimmer der Mutter verbracht hat, geht er sofort zu seinem Sohn und nimmt ihn allein mit in sein Zimmer. Er sagt nichts. Er nimmt das Kinn des Jungen in die Hand und schaut ihn sehr lange an. Er betrachtet die Augen des jungen Königs mit Argwohn - sie hat ihn also
doch
in ihrem Zimmer gesehen; er sieht es an seinem Blick, aber es scheint irgendeine Unklarheit zu geben: Mißtrauen, keine eindeutige Anklage. Der König weiß sehr gut, wie man den Eingang zu dem Ort verbirgt, an dem er sein Geheimnis hütet. Er zeigt seinem Vater nichts: keine Reue, keine Schwäche, kein menschliches Gefühl. Der Junge erwidert den Blick offen und nichtssagend, leer und undurchschaubar, und er sieht, daß irgend etwas anderes den Argwohn in den Augen seines Vaters abgelöst hat. Furcht. Der Vater weiß Bescheid. Und der Junge weiß, daß sein Vater machtlos gegen ihn ist. Als der Mann den Raum verläßt, weiß der König, daß der Vater seine Autorität nie wieder herausfordern wird.
Man begräbt das Ding in einer mit Girlanden aus Frühlingsblumen verzierten Kiste aus Lavendelholz. Der Junge steht still dabei, beobachtet seine herzzerreißend weinenden Untertanen und gestattet ihnen, die Hand auf seinen Kopf zu legenffals sie an dem Grab vorbeigehen, um für ihr Vergehen Abbitte zu leisten und ihrem einzig wahren Herrn Gehorsam zu erweisen. Nach der Beerdigung, als seine Mutter wieder da ist und man sich steif in einem Gesellschaftsraum trifft, sieht er, daß zwischen ihnen etwas
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