Sieben
unwiderruflich anders geworden ist: Sie mißt ihn von nun an nie wieder mit dem liebevollen Blick wie vor dem Erscheinen der Prätendentin. Sie wagt es kaum noch, ihn überhaupt anzusehen. Er darf auch ihre privaten Räume nicht mehr betreten. In den folgenden Tagen belauscht er zahlreiche, tränenreiche Gespräche zwischen Mutter und Vater, die abrupt enden, sobald man seine Anwesenheit entdeckt, doch er ist fest davon überzeugt, daß man nichts gegen ihn unternehmen wird. Sein Vater reist ab, um wieder seinen Pflichten in Ägypten nachzukommen. Der Junge verbringt immer mehr Zeit in zufriedener Isolation, geht seinen Studien nach und spürt die Zunahme seiner Macht bei einzelgängerischen Spaziergängen und friedlichem Nachdenken. Im Laufe der Zeit breitet sich das Leichentuch des Schweigens seiner Mutter auch über alle Untertanen seines Königreiches aus. Man zeigt ihm keinerlei Zuneigung mehr. Die Laufzeit der Wortwechsel mit den Untergebenen reduziert sich auf das Notwendigste: Macht und Herrschaft. Sein Lagerhaus platzt mit beiden Artikeln aus allen Nähten. Er hat seinen Thron zurückerobert.«
»Gütiger Gott...«, sagte Doyle leise und wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Gütiger Gott, Jack ...«
Sparks schien von der Geschichte nicht gerührt zu sein. Er nahm gelassen einen Schluck und fuhr fort; eine kalte, leidenschaftslose Rezitation. »Fünf Jahre später entdeckt die Frau, daß sie erneut schwanger ist. Man sagt dem Jungen nichts, doch zur Vorsicht wird Alexander, Monate bevor ihr Zustand für alle sichtbar wird, in ein Internat geschickt. Es erweist sich für Alexander nicht als Härte. Er ist mehr als bereit, seine Einflußsphäre über die Beschränkungen der Gartenmauern hinaus auszudehnen. Frischfleisch, so denkt er und schaut sich hungrig die neue Welt an, die ihn nun begrüßt; sie ist nicht nur mit Erwachsenen bevölkert, mit denen er inzwischen leicht fertig wird, sondern auch mit Jungen seines Alters, ganzen Bataillonen, und dank seines Geschicks so leicht zu beeinflussen und formbar wie ungeschliffene Steine. Und keiner von ihnen, weder ihre Eltern noch ihre Lehrer, sind intelligent genug, um zu begreifen, daß sie einen Fuchs gekrönt und ihm einen Palast im Hühnerstall eingerichtet haben. Im nächsten Frühjahr - seinem Blick verborgen und fern seiner Reichweite - wird ein zweiter Sohn geboren.«
Diesmal sprach Doyle seine Frage nicht aus.
»Ja, Doyle. Das war mein erster Bühnenauftritt.«
»Hat man ihn je in Ihre Nähe gelassen?«
»Er war sich meiner Existenz viele Jahre lang nicht einmal bewußt - und ich mir der seinen ebensowenig. Alexander blieb während der Schulzeit und in den Ferien im Internat, auch an den Feiertagen und sogar zu Weihnachten. In den Sommerferien wurde er zu entfernten Verwandten nach Übersee geschickt. Meine Eltern haben ihn nur einmal im Jahr besucht, am Osterwochenende. Mein Vater, der während all der Jahre im diplomatischen Dienst gewesen war, ging schließlich in den Ruhestand, um bei mir und meiner Mutter zu sein. Trotz des angerichteten Schadens glaube ich, ist es ihnen gelungen, in unserem Heim etwas Glück zu finden. Zumindest erschien es mir so, da ich von nichts wußte. Es ging mir gut, und ich wurde geliebt. Ich habe von der Existenz meines Bruders erst erfahren, als ich selbst ins Schulalter kam. Ein Mann, der bei uns im Stall arbeitete, den ich am meisten mochte und der mein Vertrauter war, verplauderte sich über einen Jungen namens Alexander, der dort ein paar Jahre zuvor geritten hatte. Meine Eltern hatten den Namen nie erwähnt, aber als ich ihnen sagte, ich wüßte von einem anderen Jungen, der in unserem Stall geritten habe, gestanden sie seine Existenz. Zwar habe ich ihre Zurückhaltung nie so interpretiert, daß sie etwas gegen Alexander hatten - daß der Name meiner toten Schwester nie gefallen war, brauche ich wohl nicht zu erwähnen -, aber als ich erfuhr, daß ich einen unbekannten älteren Bruder hatte, wurde meine Neugier unersättlich. Nachdem ich begriffen hatte, daß meine Eltern mir nicht mehr erzählen würden, übte ich pausenlos Druck auf das Personal aus, damit es mir mehr über den geheimnisvollen Jungen erzählte. Das Personal stand eindeutig unter dem Befehl, mir nichts zu erzählen, doch die Wand des Schweigens, die Alexander umgab, stachelte meinen Eifer nur noch mehr an. Ich wollte ihn unbedingt kennenlernen. Ich versuchte erfolglos, seinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen, um ihm zu schreiben. Ich
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