Sieben in einem Auto
mir die Milchkanne, Muttchen, mit einem Becher fange ich gar nicht erst an!“
„Nun nimm den Mund man nicht so voll!“ bremste Frau Heger. „Vom Angucken allein fliegen die Blaubeeren nicht in deinen Becher. Du wirst schon bald merken, daß eine Blaubeere keine Kirsche ist, und viele hundert nötig sind, um einen Becher zu füllen.“
„Du unterschätzt mein Pflücktempo“, sagte Conny. „Bevor ihr einmal zugreift, habe ich schon eine Handvoll Beeren in meinem Becher.“
Jan stampfte zwischen den hohen Büschen herum und wußte gar nicht, wo er anfangen sollte, so überreichlich war das Angebot.
„Das sind aber ganz schön dicke Dinger“, sagte er. „Kann man die einfach so essen?“
„Nee, du mußt sie erst schälen und die Kerne rausbohren“, sagte Conny.
„Guck doch mal, wie sie Stefan schmecken!“ rief Herr Heger.
Jan sah, wie sein Vater Stefan die vollreifen Beeren in den Mund steckte und der Kleine sie genüßlich aufaß. Da probierte er sie auch und futterte bald darauflos, als müßte er auf Vorrat essen, weil eine Hungersnot bevorstand. Christine und Conny wetteiferten, wer von ihnen seinen Becher zuerst voll hätte. Frau und Herr Heger pflückten auch fleißig, nur Sascha ließ sich Zeit. Er hockte auf einem Baumstumpf, von dem er mit Hilfe eines Tannenzapfens sorgfältig alle Ameisen heruntergefegt hatte, pflückte rund um sich herum alle Beeren, die er ohne Anstrengung erreichen konnte, und steckte sie sogleich in den Mund. Zu Hause kriege ich sie ja doch, dachte er. Warum soll ich sie den ganzen Weg schleppen! So ist es viel praktischer. Außerdem schmecken sie frisch am allerbesten.
Stefan lernte schnell, wie man Blaubeeren pflückt, und brauchte bald nicht mehr gefüttert zu werden. Daß er außer den Beeren auch manches Blatt mit in den Mund stopfte, machte ihm nichts aus, auch nicht, daß einige Beeren nicht in den Mund, sondern unter sein Hemd gerieten. Nach einer halben Stunde sah er aus, als hätte man ihn mit blauer Farbe bespritzt.
Jan bot einen ähnlichen Anblick. Bei Sascha und Conny waren nur die Zähne blau, bei Christine hingegen nicht einmal die, da sie sich selbst auferlegt hatte, keine Beere zu essen, bevor nicht drei Becher vollgepflückt waren.
Die Hitze wuchs und mit ihr der Durst. Stefan war satt. Er legte sich einfach auf den Rücken und machte die Augen zu. Sascha, der nach wiederholten Ermahnungen von seiner älteren Schwester mit Überwindung gerade einen Becher vollgepfückt hatte, stand ächzend auf und bog sich mit nach oben gestreckten Armen zurück.
„Leute, mir reicht’s!“ rief er. „Wenn der Spaß in Arbeit ausartet, streck ich die Waffen. Ich bin doch nicht zum Malochen in die Berge gefahren!“
Die andern hatten auch genug und verlangten nach einem kühlen Trunk.
„Trinken können wir erst zu Hause“, sagte Frau Heger, „ich habe nichts mitgenommen.“
„Typischer Fall von Weitsicht“, brummte Conny. „Wenn man nicht selber an alles denkt!“
Milchkanne und Krug waren bis zum Rand gefüllt, dazu noch drei der sechs Becher. Müde machte sich die Familie auf den Heimweg. „Ich trinke zu Hause die ganze Wasserleitung leer“, sagte Christine, „immer ein Glas nach dem andern.“
„Wenn du meinst, daß ich so lange warte, täuschst du dich! „ rief Sascha. „Ich trinke gleich aus dem nächsten Bach, die haben doch hier alle kristallklares Wasser. Herr Herbach sagt, daß man das ohne jedes Risiko tun kann.“
„Sag mal, ohne deinen Erdkundecrack kannst du wohl gar nicht mehr leben, was?“ knurrte Conny. „Herr Herbach sagt, Herr Herbach meint, Herr Herbach weiß! Nimm ihn doch mit nach Hause und stell ihn dir als lebendiges Lexikon in den Bücherschrank, Mensch! Dann sparste ‘ne Menge Bücher, du!“
„Du bist ja nur neidisch, daß ihr nicht so einen tollen Lehrer habt“, sagte Sascha.
Herr Heger trug den schlafenden Stefan auf dem Arm und marschierte am Anfang des Zuges.
„Meckert euch nicht an“, versuchte er die beiden zu besänftigen. „Wir sind jetzt alle durstig und müde, da wird der Mensch reizbar. Wenn wir uns ranhalten, sind wir in einer halben Stunde zu Hause. Was sagt Nietzsche doch so treffend? Wie komm ich am besten den Berg hinan? Steig nur hinauf und denk nicht dran!“
„Das ist ja wieder mal einer deiner wunderbar aufbauenden Sprüche“, sagte Conny. „Jetzt glaube ich fast zu schweben!“ Als sie am ersten Bach vorbeikamen, schöpfte Sascha einen Becher voll von dem klaren Wasser und trank.
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