Sieben Jahre Sehnsucht
Belohnung genug sein.
9. Kapitel
Wie immer in den letzten zwei Wochen erwachte Hester frühmorgens mit dem überwältigenden Drang, ihre Blase zu entleeren.
Sie rollte sich aus dem Bett, wankte zum Nachtgeschirr und tat genau das. In der folgenden Stunde bis zum Morgengrauen wiederholte sich das mehrmals.
»Mylady«, murmelte ihre Zofe Sarah, »ich habe Tee und Toast bereitgestellt.«
»Danke.«
»Wenn Sie Ihrer Lordschaft erzählen, dass Sie ein Kind erwarten«, fuhr Sarah vorsichtig fort, »wird er sich vielleicht bessern.«
Mit tränenfeuchten Augen und schwer atmend blickte Hester zu ihrer Zofe hinüber. »Du darfst es niemandem erzählen.«
»Bis Sie mir die Erlaubnis geben, Mylady, werde ich es keiner Menschenseele verraten.«
Ein feuchtes Tuch gegen die Stirn pressend ließ Hester ihren Tränen freien Lauf. In den ersten Jahren ihrer Ehe hätte sie sich nichts lieber gewünscht als ein Kind, um das Glück, das sie bei Edward gefunden hatte, zu vervollkommnen. Doch Gott ließ Güte walten, indem er ihr in seiner grenzenlosen Allwissenheit diesen Segen verwehrte. Als die dunkleren Seiten von Edwards Charakter offenbar wurden, hatte sie begonnen, mit Brandy getränkte Schwämme zu benutzen, um eine Empfängnis zu verhindern. Sie konnte einem unschuldigen Wesen die in diesem Haus herrschenden Verhältnisse nicht zumuten. Nach alldem, was Jessica und sie als Kinder erlitten hatten, wie könnte sie da ihr eigenes Kind so einem Leben aussetzen?
Doch Regmont war nicht der Mann, der seine aufflammende Begierde auf die Abendstunden verschob, wenn Hester vorbereitet war, und das Schicksal hatte seine eigenen Pläne.
»Ach, wärst du doch hier, Jess«, flüsterte sie, voller Sehnsucht nach einem offenen Ohr und einem klugen Rat. Bereits vor der Abreise ihrer Schwester hatte sie vermutet, guter Hoffnung zu sein, hatte jedoch nicht gewusst, wie sie Jessica diese Neuigkeit beibringen sollte. Jess litt sehr unter ihrer Unfruchtbarkeit. Es wäre Hester unmöglich gewesen, über eine Schwangerschaft zu klagen, die ihrer Schwester grenzenlose Freude bereitet hätte.
Mühsam erhob sich Hester nun vom Nachttopf und ließ sich von Sarah zum Bett zurückführen. Regmont schlief in seliger Unwissenheit in seinem eigenen Zimmer.
»Ich hoffe, Sie werden es Ihrer Lordschaft bald erzählen«, wisperte die Zofe, während sie die Kissen aufschüttelte.
Hester schloss die Augen und stieß einen Seufzer aus. »Ich glaube, ich bin für seine Qualen zum Teil selbst verantwortlich, und ich weiß nicht, was ich dagegen tun kann. Warum sonst sollten die Männer in meinem Leben mit solchen Dämonen zu kämpfen haben?«
Doch als sie Edward wenige Stunden später im Speisezimmer sah, wirkte er nicht gequält, sondern vielmehr äußerst entspannt. Sein Lächeln war heiter, und er war in ausgezeichneter Stimmung. Er küsste Hester auf die Wange, als sie auf dem Weg zu ihrem Stuhl an ihm vorbeiging.
»Räucherheringe und Eier?«, fragte er, ehe er zur Anrichte mit den abgedeckten Platten ging.
Ihr Magen rebellierte. »Nein danke.«
»Du isst zu wenig, Liebste«, tadelte er sie.
»Ich habe in meinem Zimmer bereits etwas Toast gegessen.«
»Und trotzdem leistest du mir beim Frühstück Gesellschaft.« Sein Lächeln war hinreißend. »Du bist einfach wunderbar. Wie war dein Abend?«
»Unspektakulär, aber dennoch recht angenehm.«
Sie fand diese Momente der Normalität beinahe furchterregend. Dieses Sichvormachen, dass in ihrer beider Welt alles in Ordnung war, dass nichts Böses in der Dunkelheit lauerte, dass er ein wundervoller Gatte und sie eine zufriedene Ehefrau war. Es war, als starrte man auf eine Schachtel, in dem Wissen, dass diese irgendwann aufspringen würde, um eine Überraschung zu enthüllen, die schrecklich oder schön sein konnte. Doch das Warten glich einer Folter.
Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen. Ihr Heim wurde von Freunden wegen seiner heiteren Farben gerühmt, wie die cremefarbenen und hellblauen Streifen an den Wänden des Speisezimmers. Sie hatten das Stadthaus kurz vor ihrer Hochzeit erworben; es sollte einen Neubeginn für sie beide bedeuten, einen Ort, frei von jedem Makel der Vergangenheit. Aber mittlerweile wusste sie, wie vergeblich diese Hoffnung gewesen war. Der Makel haftete auf ihnen … in ihnen, und sie trugen ihn mit sich, wohin immer sie auch gingen.
»Ich habe gestern mit Tarley etwas getrunken«, erzählte Regmont zwischen zwei Bissen. »Er suchte Zuflucht vor den Debütantinnen.
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