Sieben Jahre Sehnsucht
wollte genau da sein, wo sie gerade war – auf einem Abenteuer mit einem berühmt-berüchtigten Verführer.
Und dann gab es die Erinnerungen an die Dinge, die er mit ihrem Körper angestellt hatte. Mit Tarley hatte sie ähnliche Intimitäten ausgetauscht und hatte keine Schwierigkeiten gehabt, ihm am nächsten Morgen am Frühstückstisch in die Augen zu sehen. Bei Alistair ertappte sie sich dabei, dass sie oft und ohne Vorwarnung errötete und ihr Körper allein durch seine Nähe erhitzt und weich wurde. Auf irgendeine Art schien seine Berührung intimer zu sein als die ihres eigenen Gatten. Aber wie konnte das sein?
»Hast du gestern Nacht gut geschlafen?«, fragte er, ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich lenkend.
Sie schüttelte den Kopf.
»Damit wären wir schon zwei.« Er streckte sich seitlich aus und stützte den Kopf in die Hand. Schweigend betrachtete er sie mit diesen leuchtenden blauen Augen, die viel zu viel sahen. Diese Fenster zur Seele bargen eine Dunkelheit, die bei einem so jungen Mann nicht da sein sollte. »Erzähl mir, was neulich passiert ist, als wir am Steuerruder standen und du geflohen bist. Wovor bist du weggelaufen? Vor mir?«
Verlegen zuckte Jess die Achseln. »Ringsum war alles so laut und hektisch. Ich fühlte mich … schwindlig.«
»Hat diese Empfindung mit der Taubheit in deinem linken Ohr zu tun?«
Verdutzt sah sie ihn an. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er immer in ihr rechtes Ohr geflüstert hatte. »Es ist dir aufgefallen.«
»Michael hat es mir erzählt.« Sein Blick war liebevoll.
Dies war ein Thema, über das sie niemals reden würde. Allein bei der Vorstellung, darüber zu sprechen, überfiel sie ein so heftiger Widerwille, dass sie sogar auf Themen zurückgriff, die sie normalerweise umgangen hätte. »Ich bin nicht vor dir weggelaufen.«
»Nein?«
»Tarley ist erst ein Jahr tot.«
Spöttisch zog er die Brauen hoch. »Und du hältst sein Andenken durch Keuschheit in Ehren? Wie lange schon?«
»Seit genau einem Jahr, was ja wohl offensichtlich ist«, entgegnete sie trocken.
»Du schämst dich für dein Verlangen nach mir. Davon werde ich mich nicht abhalten lassen.«
Schämen. War das der richtige Ausdruck? Es war nicht Scham, was sie fühlte. Eher Verwirrung. Sie war dazu erzogen worden, in einer bestimmten Umgebung unter bestimmten Regeln zu leben. Eine Affäre mit Alistair würde sie in eine völlig neue Welt befördern. Eingedenk seiner Tanz-Analogie würde sie sagen, dass sie die richtigen Schritte nicht kannte und deshalb herumstolpern würde. Doch da man ihr eingebläut hatte, niemals zu stolpern oder einen falschen Schritt zu machen, war es äußerst schwierig, dies alles über Bord zu werfen.
»Eine Affäre ist nicht nötig«, begann sie, »um körperliche Liebe zu genießen. Es ist gewiss möglich und respektabel – wenn auch altmodisch –, sinnliche Freuden im Ehebett zu erleben.«
»Schlägst du vor, wir sollen heiraten?« Sein Ton war gefährlich leise und scharf.
»Nein!«, rief sie hastig, vielleicht eine Spur zu hastig. »Ich werde nicht wieder heiraten. Niemals.«
»Warum nicht? Du hast deine Ehe doch genossen.« Alistair griff nach einer Birne.
»Zwischen Tarley und mir bestand eine sehr seltene Verbundenheit. Er wusste, was ich brauchte, und ich wusste, was er erwartete. Und diese beiden Dinge konnten wir zu einem harmonischen Arrangement vereinen. Es ist mehr als zweifelhaft, dass ich noch einmal so viel Glück haben werde.«
»Erwartungen zu erfüllen ist für dich wichtig.«
Jess begegnete seinem Blick. Wie immer lag in seiner Art, sie anzusehen, etwas, das sie herausforderte, über sich selbst hinauszuwachsen. Sie herausforderte, die Gedanken, die sie mitunter kaum zu denken wagte, laut auszusprechen. »Wenn Erwartungen erfüllt werden, herrscht Harmonie.«
Den Kopf zur Seite geneigt dachte Alistair nach. »Um Harmonie zu schätzen, muss man Disharmonie kennen.«
»Können wir über etwas anderes sprechen?«
Eine lange Pause trat ein. Dann: »Worüber immer du willst.«
Eine Weile knabberte sie an ihrem Brot und versuchte, sich zu sammeln. Warum hatte es immer den Anschein, als könnte er direkt in sie hineinsehen? Das war unfair, da er sich nicht durchschauen ließ. »War es deine Wahl, diesen geschäftlichen Weg einzuschlagen?«
»Warum sollte es nicht meine Wahl gewesen sein?«
»Du sagtest, dein Vater habe für dich die Plantage und das Schiff erworben. Mich interessiert, ob du das von ihm verlangt hast oder ob du
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