Sieben Jahre später
Kleidung zerrissen und ihr Haar blutverklebt.
»Wie konnte Jeremy in einen derartigen Albtraum geraten?«, fragte sie mit erstickter Stimme.
Sie schloss die Augen, und plötzlich barst ein Damm in ihrem Inneren, und sie brach in Tränen aus. Sebastian legte ihr eine Hand auf die Schulter, um sie zu trösten, aber sie schob sie weg.
Er seufzte und massierte sich die Schläfen. Sein Kopf war schwer. Von einer heftigen Migräne gepeinigt, zitterte auch er jetzt in seinem durchnässten Hemd. Er konnte nicht glauben, dass er soeben einen Menschen getötet, ihm die Kehle durchgeschnitten hatte. Wie hatte er so schnell in dieses Räderwerk der Gewalt geraten können?
Am Morgen war er in seinem behaglichen Haus aufgewacht. Wohltuend hatte das Sonnenlicht sein Schlafzimmer durchflutet. Und nun hatte er Blut an den Händen, stand mit einem Bein im Gefängnis und hatte keine Nachricht von seinem Sohn.
Trotz der unerträglichen Kopfschmerzen, die ihm Übelkeit bereiteten, bemühte er sich, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. In seinem Gehirn überlagerten sich die Bilder: sein Wiedersehen mit Nikki, die Drogen, Drakes verstümmelte Leiche, die bestialische Gewalt des »Maori«, das scharfe Glasstück, das er diesem in die Kehle gestoßen hatte …
Donner grollte, und der Regen nahm an Intensität weiter zu. Mit dem Ärmel wischte Sebastian die Feuchtigkeit von der Scheibe. Man sah keine drei Meter weit.
»Wir können der Polizei nicht länger verheimlichen, was wir wissen«, sagte er.
Nikki schüttelte den Kopf. »Wir haben jemanden umgebracht! Wir haben einen Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt. Es kommt nicht infrage, auch nur irgendetwas zu enthüllen!«
»Nikki, Jeremy befindet sich in einer viel größeren Gefahr, als wir befürchtet haben.«
Sie strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Die Cops werden uns nicht helfen, Sebastian. Mach dir da keine Illusionen. Sie finden zwei Leichen und brauchen einen Schuldigen.«
»Das war Notwehr!«
»Es wird schwierig, das zu beweisen, glaube mir. Und die Presse wird entzückt sein, einen angesehenen Bürger in ihren Fängen zu haben.«
Er dachte über ihre Argumente nach. Im Grunde wusste er, dass sie recht hatte. Was vor ihrer Ankunft in der Kneipe passiert war, war nicht nur die Begleichung einer einfachen Rechnung zwischen zwei Dealern gewesen, sondern eine wahrhafte Hinrichtung. Und selbst wenn sie noch nicht wussten, welche Rolle Jeremy in dieser Geschichte spielte, hatte sich das Blatt doch eindeutig gewendet. Nun fürchteten sie nicht mehr nur, ihr Sohn könne verhaftet und ins Gefängnis gesteckt werden, sondern viel mehr, ihn tot aufzufinden …
Ihre Handys klingelten gleichzeitig. Partita von Bach bei ihm, Riff von Jimi Hendrix bei ihr. Nikki schaute auf ihr Display: Es war Santos, der beim CARD ungeduldig auf sie wartete. Sie beschloss, den Anruf zu ignorieren. Sie würde sich später bei ihm melden.
Sie warf einen Blick auf Sebastians Handy. Die Vorwahl zeigte einen internationalen Anruf an. Er runzelte die Stirn, um ihr zu bedeuten, dass er die Nummer nicht kannte. Nach kurzem Zögern entschied er sich jedoch, das Gespräch anzunehmen, und schaltete den Lautsprecher ein.
»Mister Larabee?«, fragte eine männliche Stimme mit ausländischem Akzent.
»Am Apparat.«
»Mein kleiner Finger sagt mir, dass Sie gern etwas von Ihrem Sohn hören würden.«
Sebastian fühlte einen Kloß im Hals. »Wer sind Sie? Was haben Sie mit ihm …«
»Viel Spaß bei dem kleinen Film, Mister Larabee!«, unterbrach ihn die Stimme, bevor aufgelegt wurde.
Sie schauten sich schweigend an, ebenso verblüfft wie beunruhigt.
Ein helles Klingeln ließ sie zusammenfahren.
Auf Nikkis Handy war eine E-Mail eingegangen. Absender unbekannt. Sie öffnete die Meldung: Sie war leer, abgesehen von einer Anlage, die einige Zeit brauchte, ehe sie sich öffnete.
»Es ist ein Video«, stellte sie fest.
Zitternd drückte sie auf die Play- Taste.
Instinktiv suchte ihre Hand Sebastians Unterarm, um sich irgendwo festhalten zu können.
Der Film begann.
Sie rechnete mit dem Schlimmsten.
Draußen prasselte der Regen weiter auf das Autodach herab.
Kapitel 18
Die Abteilung des FBI, die auf vermisste Minderjährige spezialisiert war, hatte ihre Büros in der sechsundfünfzigsten Etage des MetLife Building eingerichtet, eines gewaltigen Wolkenkratzers, der die Park Avenue mit seinem kantigen, klobigen Bau fast erdrückte.
Ungeduldig rutschte Lorenzo Santos auf einem
Weitere Kostenlose Bücher