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Sieben Jahre später

Sieben Jahre später

Titel: Sieben Jahre später Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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    »Verpiss dich mit deiner Kiste, Dreckskerl!«
    Diese Begrüßung galt Sebastian, als er an einigen Obdachlosen vorbeifuhr, die die Mülltonnen der Pizza-Hut -Filiale in der Frederick Street durchwühlten. Sie tranken aus ihren Bierdosen, verborgen in Papiertüten, und markierten ihr Territorium, indem sie die Passanten und Autofahrer, die zu ihnen herüberschielten, mit ihren Flüchen bedachten.
    »Idiot!«
    Ein gefüllter Pappbecher landete auf seiner Windschutzscheibe. Sebastian schloss das Fenster und betätigte den Scheibenwischer.
    Reizend …
    Er begab sich zum ersten Mal in diesen Stadtteil. Und, wie er hoffte, auch zum letzten Mal.
    Die Luft roch nach puerto-ricanischer Küche. Karibische Rhythmen dröhnten aus verschiedenen Fenstern. Dominikanische Fahnen schmückten die Außentreppen der Häuser. Es war nicht zu übersehen, dass Bushwick eine Latinohochburg war. Das Viertel dehnte sich in alle Richtungen über Dutzende Häuserblocks aus und hatte sich seinen rauen Charakter bewahrt. Die alternativ angehauchten, jüngeren Wohlstandsbürger, die Williamsburg in Beschlag genommen hatten, waren noch nicht in diesen Sektor vorgedrungen. Hier gab es keine reichen Youngsters, keine angesagten Künstlerkneipen oder Biorestaurants, sondern lediglich eine Abfolge von Lagerhäusern, von Wellblechbaracken, graffitibesprühten Backsteingebäuden und Brachflächen, überwuchert von Unkraut.
    Die Avenue war breit und menschenleer. Sebastian entdeckte das Boomerang , zog es jedoch vor, den Jaguar in einer Parallelstraße zu parken. Er sperrte den Wagen ab, und als er zurück zur Frederick Street lief, fielen die ersten Regentropfen, die Bushwick noch grauer und trister erscheinen ließen.
    Das Boomerang hatte nichts von einer gemütlichen Inlounge. Es war eine düstere, versiffte Vorstadtkneipe, in der billiger Whiskey und Burger zu zwei Dollar angeboten wurden. Ein Schild, das mit Klebeband an dem eisernen Rollgitter befestigt war, informierte darüber, dass der Ausschank erst ab siebzehn Uhr öffnete. Das Gitter stand jedoch zu drei Vierteln offen, sodass man vor die Eingangstür des Lokals treten konnte.
    Als Sebastian an die Rauchglasscheibe klopfte, wurde der Regen immer stärker.
    Keine Antwort.
    Er nahm allen Mut zusammen, schob das Gitter ganz nach oben und versuchte, die Tür zu öffnen.
    Sie leistete keinen Widerstand.
    Von dem Schauer durchnässt, zögerte er einen kurzen Moment. Der Ort war düster, der Raum lag im Halbdunkel. Schließlich beschloss er, einzutreten, und zog sogleich die Tür hinter sich zu, um nicht von Passanten gesehen zu werden.
    »Ist da jemand?«, fragte er, während er sich behutsam vortastete.
    Nach wenigen Schritten schlug er die Hand vor den Mund. Ein abscheulicher Gestank stieg ihm in die Nase und drehte ihm fast den Magen um. Ein durchdringender Geruch …
    Nach Blut.
    Er war versucht, die Flucht zu ergreifen, beherrschte jedoch seine Angst. Er wich an die Wand zurück und tastete nach einem Schalter.
    Als sich das trübe Licht im Raum verteilte, packte ihn das nackte Entsetzen.
    Die Theke war voller Blut, der Boden mit schwarzen, klebrigen Flecken übersät, die Backsteinwand dunkelrot gesprenkelt, die Holzvertäfelung besudelt. Die Spritzer reichten bis zu den Regalbrettern hinter der Theke hinauf, auf denen dicht gedrängt Flaschen standen.
    Ein wahres Gemetzel.
    Hinten im Raum lag ein Mann in einer Blutlache.
    Drake Decker ?
    Sebastians Herz hämmerte in seiner Brust. Trotz der Panik und des Ekels trat er zu der Leiche. Der Billardtisch, auf dem der Körper lag, erinnerte an einen Altar, einen erhöhten liturgischen Tisch für finstere Opferrituale. Der Tote war ein kahlköpfiger, bärtiger Koloss, der vermutlich zwei Zentner wog. Dickbäuchig und behaart, erinnerte er an gewisse Mitglieder der Bears , eines Zweigs der Homosexuellengemeinschaft, die ihre Männlichkeit ostentativ zur Schau stellten. Seine einstmals khakifarbene Stoffhose war mit dunklem Blut durchtränkt. Aus seinem karierten Hemd, das über Brust und Bauch aufklaffte, quollen die Eingeweide und ein dickflüssiger Brei.
    Sebastian konnte nicht länger an sich halten. Die Hände auf die Knie gestützt, erbrach er bittere gelbe Galle, die aus seinem leeren Magen aufstieg. In dieser Position verharrte er eine Weile. Schweißgebadet und mit brennendem Gesicht rang er nach Luft.
    Er überwand jedoch seine Panik. Aus der Hemdtasche des Toten schaute ein Lederetui. Es gelang Sebastian, es herauszuziehen. Ein Blick

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