Sieben Jahre später
Sebastian.
»Dann können Sie jetzt in Ihr Zimmer gehen, es ist die Nummer 5 im letzten Stock.«
In dem engen Aufzug drückte Nikki den Knopf zur obersten Etage.
»Wenn die Reservierung vor einer Woche getätigt wurde, muss Jeremys Entführung von langer Hand geplant gewesen sein.«
»Ja, sieht ganz so aus. Aber warum sind sie das Risiko eingegangen, für die Reservierung mein Konto auszuspionieren?«
»Vielleicht, um Lösegeld zu erpressen?«, mutmaßte sie. »Durch das Hacken deiner Konten wissen sie genau, wie viel Geld du besitzt und wie viel sie verlangen können.«
Oben angekommen, öffneten sie die Tür zu ihrem Zimmer und betraten eine riesige Suite – ein ausgebauter Dachstuhl mit Mezzanin.
»Hm, sie hätten sich was Hässlicheres aussuchen können«, meinte Nikki flapsig, um ihre Angst zu überspielen.
King-Size-Bett, frei stehende Wanne im Bad, in Pastelltönen gehaltene Wände. Der Raum war geschmackvoll eingerichtet und besaß den Charme eines Künstlerateliers. Naturbelassener Holzboden, großer ovaler Spiegel und kleine Terrasse, die auf den Garten blickte.
Vor allem das Licht war außergewöhnlich. Leicht durch Efeu und Laub der Bäume gefiltert, verlieh es dem Zimmer eine warme Atmosphäre. Man hatte nicht den Eindruck, sich in einem Hotel zu befinden, sondern in einem romantischen Urlaubsrefugium von Freunden.
Sie traten auf die Terrasse mit der grandiosen Aussicht auf die Stadt zu ihren Füßen.
Doch beide konnten sich nicht wirklich an dem Anblick erfreuen, zu groß war ihre Unruhe.
»Und jetzt?«, fragte Sebastian.
»Ich weiß nicht. Wenn sie uns hierher gelockt haben, dann doch wahrscheinlich deshalb, um mit uns Verbindung aufzunehmen, oder?«
Auf der Suche nach einer eventuellen Nachricht konsultierten sie ihre Handys, erkundigten sich bei der Rezeption und sahen sich in der Suite um. Nichts.
Nach einer halben Stunde wurde das Warten unerträglich.
»Ich fahre nach Barbès«, entschied Sebastian und griff nach seiner Jacke.
»Ich komme mit! Ich bleibe auf keinen Fall allein hier!«
»Nein. Du hast es doch gerade selbst gesagt: Höchstwahrscheinlich werden sie versuchen, hier Kontakt mit uns aufzunehmen.«
»Wir hatten abgemacht, dass wir uns nicht trennen«, rief Nikki.
Doch Sebastian hatte das Zimmer bereits verlassen.
Kapitel 24
New York, 87. Revier
Santos nahm den Plastikbecher aus dem Getränkeautomaten. Die Sonne war noch nicht über Brooklyn aufgegangen, und der Lieutenant trank bereits seinen dritten Kaffee. Die Nacht war wieder einmal anstrengend gewesen: Einbrüche, häusliche Gewalt, verwüstete Geschäfte, verhaftete Prostituierte … Seit zehn Jahren stellten die Medien New York als friedliche und sichere Stadt dar. Das mochte für das Zentrum von Manhattan zutreffen, für die Außenbezirke hingegen weniger.
Da das Kommissariat nicht genügend Zellen besaß, glich der Gang, auf dem sich der Getränkeautomat befand, einem Flüchtlingslager: Angeklagte, die mit Handschellen an die Bänke gekettet waren, Zeugen, die sich auf den zerschlissenen Polstersitzen drängten, in Decken gehüllte Kläger. Der in fahles Neonlicht getauchte Flur war schmutzig und laut, die Stimmung angespannt.
Santos verließ diese Kloake und flüchtete sich in sein Büro. Er verabscheute das verdreckte, lärmende Revier und hatte nicht die Absicht, seine Karriere hier zu beenden. Auch sein Arbeitszimmer war wenig ansprechend: ein winziger, schlecht isolierter Raum, der nicht sehr praktisch eingerichtet war und auf einen düsteren Hof hinausführte. Santos trank einen Schluck von dem dünnen Kaffee und biss in einen alten Donut, den er nicht herunterbrachte.
Nachdem er das Gebäck in den Papierkorb geworfen hatte, griff er zum Telefon, um das Labor anzurufen, das die toxikologische Analyse vornahm. Der Mann am anderen Ende bestätigte seine Vermutung: Bei dem Pulver, das er bei Nikki gefunden hatte, handelte es sich in der Tat um Kokain. Er legte die Akte zur Seite und bat darum, mit Hans Tinker verbunden zu werden.
Im Laufe der Jahre war es Santos gelungen, sich ein umfangreiches Netzwerk aufzubauen. In den verschiedenen Dienststellen des weitverzweigten NYPD gab es zahlreiche Menschen, die ihm einen Gefallen schuldeten. Für ihn war es eine Selbstverständlichkeit, einem Kollegen zu helfen, wenn er konnte. Zunächst mochte das selbstlos erscheinen, doch es gab immer wieder Situationen, in denen er einen Gefallen einforderte.
»Hallo, hier Tinker.«
Hans Tinker, der Leiter des
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