Sieben Jahre später
Leute Ihres Schlages.«
»Oh, dabei war das noch gar nichts«, sagt sie geheimnisvoll.
Sie knöpft ihr Cape zu und verlässt das Café.
Durch das Fenster beobachte ich, wie sie sich eine Zigarette anzündet, einen Zug nimmt, mir ein letztes Mal zublinzelt und verschwindet.
—
Ich bleibe noch eine Weile sitzen, trinke langsam meinen Bordeaux aus und denke über das nach, was gerade geschehen ist. Ich öffne den obersten Knopf, fahre mir durchs Haar und knöpfe meine Weste auf, die mich einengt. Es stimmt, dass ich so besser atmen kann.
Ich bitte um die Rechnung, suche in meiner Jacke nach meiner Brieftasche. Dann in meinem Mantel.
Seltsam.
Beunruhigt durchwühle ich sämtliche Taschen, dann muss ich den Tatsachen ins Auge sehen.
Dieses Miststück hat mir meine Brieftasche geklaut!
Upper East Side
drei Uhr morgens
Ein durchdringender Ton reißt mich aus dem Schlaf. Ich öffne die Augen und sehe auf den Wecker. Irgendjemand klingelt an der Eingangstür Sturm. Ich nehme meine Brille vom Nachtkästchen und gehe hin. Das Haus ist leer und kalt. Weil ich den Diebstahl meiner Brieftasche anzeigen wollte, habe ich den Zug nach Long Island verpasst und den Abend allein in Manhattan verbracht.
Wer mag das sein, mitten in der Nacht? Ich öffne die Tür. Im Windfang steht meine Diebin mit einer Flasche Alkohol in der Hand.
»Meine Güte, wie sexy er in seinem Pyjama aussieht«, neckt sie mich.
Sie stinkt nach Wodka.
»Was wollen Sie? Eine ganz schöne Frechheit, hier aufzutauchen, nachdem Sie meine Brieftasche geklaut haben!«
Sie schiebt mich beiseite und tritt leicht schwankend ein. In ihrem Haar hängen Schneeflocken. Wo hat sie sich bei dieser Kälte herumgetrieben?
Sie geht ins Wohnzimmer und gibt mir meine Brieftasche zurück, dann lässt sie sich aufs Sofa fallen.
»Ich wollte Wein kaufen, Ihren Château Dingsda, aber ich habe nur das gefunden«, erklärt sie und schwenkt eine halb leere Wodkaflasche.
Ich gehe kurz nach oben und komme mit einem Handtuch und einer Decke zurück. Während ich versuche, Feuer zu machen, reibt sie ihr Haar trocken, wickelt sich in die Decke und kommt zu mir vor den Kamin. Als sie neben mir steht, streckt sie die Hand aus und streichelt mein Gesicht. Ich erhebe mich langsam. Ihre Augen funkeln eigenartig und faszinierend. Sie nimmt mich in die Arme.
»Hören Sie auf, Sie sind betrunken!«
»Eben, und Sie sollten die Gelegenheit nutzen«, provoziert sie mich.
Sie reckt sich auf die Zehenspitzen, und ihre Lippen berühren die meinen. Im Zimmer herrscht Halbdunkel.
Das Feuer beginnt zu lodern und verströmt ein schwaches, zitterndes Licht. Sie zieht ihr Cape aus, und ich sehe, wie sich ihre Brust unter der Bluse hebt. Trotz meiner Erregung fühle ich mich unwohl und versuche einen letzten Widerstand.
»Sie wissen nicht, was Sie tun.«
»Du gehst mir auf die Nerven mit deinen Skrupeln«, sagt sie, küsst mich leidenschaftlich und schiebt mich zum Sofa.
An der Zimmerdecke vereinen sich die Schatten unserer Körper.
—
Als ich am nächsten Morgen aufwache, ist mein Kopf schwer, meine Lider sind geschwollen, und ich habe einen metallischen Geschmack im Mund. Nikki ist verschwunden, ohne eine Adresse zu hinterlassen. Ich stehe auf und schleppe mich zu der Fensterfront. Noch immer fällt Schnee und verwandelt New York in eine Phantomstadt. Es ist eiskalt. Der Wind wirbelt die Asche des Kamins durch das Zimmer. Ein unerträglicher Mangel schnürt mir den Magen zusammen. Verwirrt hebe ich die Wodkaflasche auf.
Leer.
Langsam komme ich wieder zu mir und entdecke auf dem Louis-Philippe-Spiegel einen mit Lippenstift geschriebenen Satz. Es handelt sich um ein antikes Stück mit Blattgoldauflage, für das meine Mutter bei einer Versteigerung ein Vermögen bezahlt hat. Ich suche meine Brille, finde sie aber nicht. Also trete ich näher und entziffere die Nachricht.
Frei nach Jean Renoir: Die einzig wichtigen Momente im Leben sind die, an die man sich erinnert .
Zweiter Teil
Allein gegen alle
Frauen verlieben sich,
wenn sie einen Mann kennenlernen.
Bei den Männern ist es genau umgekehrt:
Wenn sie eine Frau schließlich kennen,
sind sie bereit, sie zu verlassen.
James Salter, American Express
Kapitel 22
TATORT – BETRETEN VERBOTEN.
Die langen, gelben Bänder, mit denen der Tatort abgesperrt war, flatterten im zuckenden Schein der Blaulichter im Wind. Seinen Dienstausweis in der Hand, bahnte sich Santos einen Weg durch die Schar der Schaulustigen und Uniformierten bis
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