Sieben Jahre später
Straße, offenbarte sich Sebastian ein Paris, das nichts mit dem der Reiseführer zu tun hatte. Hier gab es keine Passanten mit Baskenmütze, die das obligatorische Baguette unter den Arm geklemmt hatten, keine traditionellen Käsegeschäfte oder Bäckereien an den Straßenecken. Es war auch nicht das Paris des Eiffelturms oder des Triumphbogens, sondern ein multikulturelles Paris, rau und bunt zusammengewürfelt, das an den melting pot New York erinnerte.
Auf dem Bürgersteig streifte ihn ein Typ, ein anderer rempelte ihn an, er glaubte, eine Hand zu spüren.
Ein Taschendieb !
Als er erschrocken zurückwich, bot ihm ein fliegender Händler Zigaretten an.
»Marlboro! Marlboro! Drei Euro! Drei Euro!«
Er winkte ab und überquerte die Straße. Auf der anderen Seite dasselbe Theater, es wimmelte von Händlern geschmuggelter Zigaretten.
»Schnäppchen! Marlboro! Drei Euro! Drei Euro!«
Und weit und breit war kein Polizist zu sehen …
Neben der oberirdisch verlaufenden Metro entdeckte er einen Zeitungskiosk. Wieder zog er das Foto seines Sohnes aus der Tasche und zeigte es dem Inhaber.
»Mein Name ist Sebastian Larabee. Ich bin Amerikaner. Dies ist ein Foto meines Sohnes Jeremy. Er wurde hier vor zwei Tagen gekidnappt. Haben Sie irgendetwas gesehen oder gehört?«
Der Mann nordafrikanischen Ursprungs betrieb seinen Kiosk hier seit vielen Jahren und kannte das Viertel wie seine Westentasche.
»Nein, von dieser Sache habe ich nichts gehört.«
»Sind Sie sicher? Schauen Sie sich das Video an!«, bat Sebastian ihn und zeigte ihm den Film auf seinem Smartphone.
Der Zeitungsverkäufer putzte mit dem Hemdzipfel seine Brille und setzte sie wieder auf.
»Ich kann kaum was erkennen«, klagte er, »das Display ist wirklich klein.«
»Bitte, schauen Sie es sich noch mal an.«
Das Gedränge war groß, die Atmosphäre angespannt, und Sebastian wurde ständig angerempelt. Der Bürgersteig vor dem Kiosk und dem Metroausgang war von Schwarzhändlern bevölkert. » Marlboro! Marlboro! Drei Euro !« Der schrille Refrain bereitete ihm Kopfschmerzen.
»Tut mir leid, das sagt mir nichts«, meinte der Mann und reichte ihm das Handy zurück. »Aber geben Sie mir Ihre Nummer. Ich frage meinen Angestellten Karim, ob er etwas gehört hat. Er hat am Montag den Kiosk abgeschlossen.«
Um ihm zu danken, zog Sebastian das Bündel Geldscheine heraus und wollte ihm fünfzig Euro geben, doch der Mann hatte seinen Stolz.
»Stecken Sie die Kohle weg, und halten Sie sich nicht länger hier auf«, sagte er und wies auf das zwielichtige Gesindel in der Nähe.
Sebastian gab ihm seine Karte, auf der er seine Handynummer unterstrichen und Jeremys Namen und Alter notiert hatte.
»Wenn der Angriff gefilmt worden ist, dann müsste die Bahnpolizei Bescheid wissen«, meinte der Mann noch.
»Gibt es in der Nähe eine Polizeistation?«
Der Verkäufer verzog das Gesicht. »Ja, die von la Goutte-d’Or etwa zweihundert Meter entfernt, aber das ist nicht gerade die angenehmste der Stadt …«
Sebastian bedankte sich noch einmal und nickte ihm zu.
Im Moment kam es sowieso nicht infrage, zur Polizei zu gehen. Als er gerade ins Hotel zurückkehren wollte, kam ihm plötzlich eine Idee.
»Schnäppchen! Schnäppchen! Drei Euro!«
Die Straßenhändler trieben sich den ganzen Tag am Eingang zur Metro herum. Es gab doch keinen besseren Beobachtungsposten, um die gesamte Station im Blick zu haben. Bei ihnen würde er leichter Informationen bekommen als bei der Polizei!
Entschlossen bahnte sich Sebastian einen Weg durch die Menge von Einheimischen und den wenigen Touristen, die auf dem Weg nach Montmartre waren.
»Marlboro! Drei Euro!«
Die Nikotinjungs waren ständig in Bewegung und rissen nur von Zeit zu Zeit ihre Jacken auf, um die Stangen voller schlechtem Tabak in ihren Innentaschen zu zeigen. Sie waren nicht wirklich aggressiv, aber doch so aufdringlich, dass man den Wunsch verspürte, das Weite zu suchen. Sebastian indes folgte seiner Intuition.
»Marlboro! Drei Euro!«
Er zog Jeremys Foto aus der Tasche und hielt es in die Höhe. »Wer hat diesen Jungen gesehen?«
»Verschwinde von hier! Lass uns arbeiten!«
Sebastian aber ließ sich nicht entmutigen, setzte seine Runde um die Kreuzung von Barbès-Rochechouart fort und zeigte den illegalen Verkäufern das Foto seines Sohnes.
Als er schon fast aufgeben wollte, flüsterte eine Stimme in seinem Rücken: »Das ist Jeremy, nicht wahr?«
Kapitel 26
»Das ist Jeremy, nicht wahr ? «
Sebastian
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