Sieben Jahre später
kriminaltechnischen Labors, war vielleicht sein interessantester Kontakt. Zwei Jahre zuvor hatten Santos’ Männer bei einer Routinekontrolle Tinkers ältesten Sohn, damals mitten in der Pubertät, mit einer großen Menge Shit geschnappt. Ganz offensichtlich begnügte sich der Sprössling nicht damit, heimlich in seinem Zimmer zu rauchen, sondern er dealte auch für seine Freunde. Santos hatte ein Auge zugedrückt und die Sache ad acta gelegt. Seither war ihm Tinker unglaublich dankbar.
»Hallo, Hans, gibt’s was Neues bei dem Doppelmord?«
»Wir kommen voran, aber es wird dauern. Wir müssen die unzähligen Fingerabdrücke am Tatort auswerten.«
»Ja klar, aber ich brauche dringend die an dem KA-BAR, der Glasscherbe und dem Billardstock.«
»Die haben wir schon. Ich schicke dir innerhalb der nächsten zwei Stunden einen Bericht.«
»Nicht nötig! Leite sie mir einfach per Mail weiter. Ich will sie so schnell wie möglich mit dem IAFIS abgleichen.«
Seinen Laptop unter dem Arm, klopfte Mazzantini an die Scheibe und steckte dann den Kopf durch die Tür. Santos machte ihm ein Zeichen, einzutreten. Der Assistent wartete, bis sein Chef aufgelegt hatte, und erklärte: »Es gibt Neues, Lieutenant. Wir haben die Aufzeichnung des Telefonats zur Notrufzentrale. Hören Sie sich das an.«
Er klappte sein Notebook auf und startete den Mediaplayer. Man hörte die Stimme eines Mannes, der ganz offensichtlich in Panik war und einen Krankenwagen zum Boomerang verlangte, ohne seine Identität preisgeben zu wollen.
» Hier liegt ein Mann im Sterben! Er hat überall Messerstiche! Kommen Sie schnell! Kommen Sie schnell! «
»Er spricht nur von einer Leiche, merkwürdig, nicht wahr?«, meinte Mazzantini.
Santos antwortete nicht. Wo hatte er diese Stimme schon einmal gehört?
»Wir haben den Mann ausfindig gemacht«, fuhr sein Assistent fort. »Das Handy gehört Sebastian Larabee, einem reichen Geigenbauer, der in der Upper East Side wohnt. Ich habe mir sein Vorstrafenregister angeschaut – völlig leer. Das heißt, fast: ein einziges Strafmandat wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Aber damals war er noch Student. Vermutlich weiß er nicht einmal, dass er registriert ist.«
Santos’ Gesichtszüge entgleisten.
»Soll ich eine Streife hinschicken, um ihn festzunehmen, Chef?«
Santos nickte schweigend. Er wusste, dass Sebastian Larabee in Paris war, brauchte aber Zeit zum Nachdenken.
»Ja gut, fahren Sie«, sagte er und schloss die Tür hinter Mazzantini.
Den Blick ins Leere gerichtet, trat er ans Fenster. Diese Enthüllung gab ihm Rätsel auf. Was hatte Sebastian Larabee mit dem Fall Drake Decker zu tun?
Der kurze Klingelton, der das Eintreffen einer E-Mail ankündigte, riss ihn aus seinen Gedanken. Er setzte sich an den Computer und sah den Posteingang durch. Eine Nachricht von Tinker, die die Fingerabdrücke betraf.
Die Kriminaltechniker hatten gute Arbeit geleistet. Bei jedem Beweisstück waren die Abdrücke gut zu erkennen und konnten sofort verwendet werden. Santos speicherte sie auf seiner Festplatte und loggte sich in die zentrale Datenbank der digitalen Fingerabdrücke ein. Die Ermittler der New Yorker Polizei hatten direkten Zugang zu den Karteien des FBI, vor allem zum IAFIS: Das war eine wahre Goldgrube, in der mehr als siebzig Millionen Personen registriert waren, die auf amerikanischem Hoheitsgebiet festgenommen oder verurteilt worden waren. Er begann mit den Abdrücken, die auf dem Kampfmesser gefunden worden waren. Der Algorithmus startete und durchsuchte in Rekordgeschwindigkeit die abgespeicherten Daten.
MATCH NOT FOUND
Fehlanzeige! Santos fuhr mit den Abdrücken auf der langen blutbefleckten Glasscherbe fort, mit der allem Anschein nach der Tätowierte getötet worden war. Diesmal hatte er mehr Glück. Es dauerte keine zwei Sekunden, bis das Programm eine Antwort lieferte. Es handelte sich um die Fingerabdrücke von … Sebastian Larabee. Er schickte gleich eine Anfrage für die Abdrücke auf dem Billardstock hinterher. Fast augenblicklich wurde das Foto einer jungen Frau angezeigt. Mit zitternden Händen druckte Santos die Datei aus.
Name: Nikovski
Vorname: Nikki
Geboren am 24. August 1970 in Detroit, Michigan
Geschieden von Sebastian Larabee
In den 1990er-Jahren war Nikki wiederholt wegen Diebstahls, Trunkenheit in der Öffentlichkeit und Drogenbesitzes verhaftet worden. Zwar war sie nie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, hatte aber
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