Sieben Jahre später
dieser unverrückbaren Tatsache konfrontiert: Mir fehlt dieser kleine Funke, der es mir erlauben würde, eine Christy Turlington oder Kate Moss zu werden. Und vor allem altere ich. So weit ist es bereits.
»Fertig!«, ruft der Regisseur. »Okay, Mädels! Ihr könnt jetzt feiern! Paris gehört euch!«
Von wegen!
Die Produktionsfirma hat Garderoben in Zelten eingerichtet. Das Licht ist schön an diesem Spätnachmittag, aber es herrscht eine Eiseskälte.
Als ich mich, im Durchzug stehend, gerade abschminke, spricht mich eine Praktikantin von Joyce Cooper an: »Tut mir leid, Nikki, im Royal Opéra war kein Platz mehr. Man hat dich in ein anderes Hotel umbuchen müssen.« Sie reicht mir einen Zettel, auf dem die Adresse eines Hotels im 13. Arrondissement ausgedruckt ist.
»Soll das ein Witz sein? Noch weiter draußen habt ihr wohl nichts gefunden! Warum nicht gleich in der tiefsten Provinz!«
Zum Zeichen der Machtlosigkeit breitet sie die Arme aus. »Tut mir wirklich leid. Es sind Schulferien. Alles ist ausgebucht.«
Ich seufze, ziehe mir andere Klamotten und andere Schuhe an. Die Stimmung ist geradezu elektrisch aufgeladen. Die Mädchen sind außer Rand und Band: Im Garten des Ritz steigt eine Party. Lagerfeld und Galliano werden da sein.
Als ich dort ankomme, steht mein Name nicht auf der Gästeliste.
»Kommst du mit was trinken, Nikki?«, fragt mich einer der Studiofotografen.
Er ist in Begleitung eines Kollegen, eines Kameramanns, der mich seit dem Vormittag anmacht.
Ich habe nicht die geringste Lust, diesen Idioten zu folgen, aber ich sage nicht Nein. Zu groß ist meine Angst, allein zu sein. Zu groß mein Bedürfnis, mich begehrt zu fühlen, und sei es von Leuten, die ich verachte.
Ich gehe mit ihnen in eine Kneipe an der Rue d’Alger. Wir trinken einen heimtückischen Drink nach dem anderen, »Kamikaze«-Cocktails mit Wodka, Cointreau und Limette. Der Alkohol wärmt und entspannt mich und steigt mir schnell zu Kopf.
Ich lache, mache Witze, gebe eine gute Figur ab. Trotzdem verabscheue ich diese perversen Fotografen, die auf der Jagd nach Frischfleisch sind. Ich kenne ihre Methode: Mädchen betrunken machen, ihnen etwas Koks geben, nicht lockerlassen, ihre Erschöpfung und Einsamkeit, ihre Verwirrung ausnutzen. You ’ re so sexy! So glamorous! Sie betrachten mich als leichte Beute, und ich tue nichts, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Davon lebe ich: Von dem Feuer, das ich in den Männern entzünde, selbst bei solchen abgehalfterten Typen wie diesen. Einem Vampir gleich ernähre ich mich von ihrem Begehren.
Die Modewelt hat ihre Faszination für mich inzwischen verloren. Heute ist alles nur noch Erschöpfung, Müdigkeit, Konkurrenz. Ich habe begriffen, dass ich lediglich ein Bild war, eine Wegwerffrau, ein Produkt kurz vor dem Verfallsdatum.
Die Typen rücken näher, berühren mich, ihre Anmache wird immer gewagter. Einen Augenblick lang bilden sie sich ein, ich würde ihre Pläne für einen Dreier gutheißen.
Als draußen die Lichter angehen, beginnen die Typen, wirklich aufdringlich zu werden. Ich will gehen, solange mir noch etwas von meinem klaren Verstand geblieben ist. Ich verlasse die Kneipe und ziehe meinen Koffer hinter mir her. In meinem Rücken höre ich ihre Beleidigungen: Aufreißerin, Nutte … Business as usual .
Unmöglich, in der Rue de Rivoli ein Taxi zu finden. Ich muss die Metro nehmen. Haltestelle Palais Royal. Nach einem Blick auf den Fahrplan besteige ich einen Zug und lasse mich mit der Linie 7 von einer Station zur nächsten bringen: Pont Neuf, Châtelet … Jussieu … Les Gobelins …
Als ich an der Place d’Italie ankomme, ist es bereits dunkel. Ich gehe davon aus, dass mein Hotel ganz in der Nähe ist, tatsächlich liegt jedoch ein langer Fußmarsch vor mir. Es fängt an zu regnen. Ich frage nach dem Weg, doch man lässt mich abblitzen, weil ich kein Französisch spreche. Merkwürdiges Land! Ich gehe die Rue Bobillot entlang und zerre meinen Koffer, dessen Räder blockieren, hinter mir her. Der Regen wird immer stärker.
An diesem Abend fühle ich mich erschöpft und verletzlich. So allein wie noch nie. Der Regen rinnt über meinen Körper, und in meinem Inneren scheint alles rissig zu werden. Ich denke an die Zukunft. Habe ich überhaupt eine? Ich besitze keinen roten Heller. In den fünf Jahren meiner Berufstätigkeit habe ich nicht einen Dollar auf die hohe Kante legen können. Der Fehler liegt in dem System, das einen in Abhängigkeit hält. Die
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