Sieben Jahre später
bald.« Sie nahm das neue Gespräch an, ohne Santos Zeit zum geringsten Protest zu lassen.
»Hallo?«
»Misses Larabee?«
» Speaking. «
»Hier ist die Pariser Schifffahrtsgesellschaft«, verkündete eine Frau. »Ich rufe Sie an, um die Buchung für heute Abend zu bestätigen.«
»Welche Buchung?«
»Ihre Reservierung für ein Luxusabendessen um zwanzig Uhr dreißig auf unserem Schiff L ’ Amiral .«
»Ähm … sind Sie sicher, dass da kein Irrtum vorliegt?«
»Vor einer Woche ist ein Tisch auf den Namen Mister und Misses Larabee bestellt worden«, präzisierte die Hostess. »Soll ich das so verstehen, dass Sie den Termin nicht wahrnehmen möchten?«
»Nein, wir kommen. Zwanzig Uhr dreißig, sagten Sie? Wo gehen wir an Bord?«
»Am Pont de l’Alma im 8. Arrondissement. Abendgarderobe ist erwünscht.«
»Sehr gut«, erwiderte Nikki.
Sie legte auf. In ihrem Kopf herrschte die totale Verwirrung. Unordnung. Chaos. Was hatte dieser neue Termin zu bedeuten? Würde man am Pont de l’Alma endlich Kontakt mit ihnen aufnehmen? Und ihnen vielleicht Jeremy zurückgeben …
Sie schloss die Augen und tauchte erneut mit dem Kopf unter Wasser.
Um klarer zu sehen, hätte sie ihr Gehirn gern wie einen Computer neu gestartet. Einfach die Reset -Taste gedrückt.
Ctrl-Alt-Del
Ihr Gehirn wurde von negativen Gedanken bombardiert, von Horrorbildern, die direkt aus einem Albtraum stammten. Langsam bezähmte sie ihre Angst, indem sie sich konzentrierte, wie sie es in der Meditation gelernt hatte. Nach und nach entspannten sich ihre Muskeln. Es tat ihr gut, den Atem anzuhalten. Der Kontakt mit dem warmen Wasser wirkte wie ein schützender Kokon. Der Sauerstoffmangel diente als Filter, er löschte allen Schmutz aus ihrem Bewusstsein.
Schließlich blieb nur noch ein Bild. Eine alte, lang verdrängte Erinnerung. Ein in der Zeit abgekapseltes Bild, ein alter Amateurfilm, der sie fast siebzehn Jahre zurückversetzte.
In die Zeit ihrer zweiten Begegnung mit Sebastian.
Im Frühjahr 1996.
In Paris …
Nikki
siebzehn Jahre früher …
Jardin des Tuileries
Paris
Frühjahr 1996
»Eine letzte Aufnahme, Mädels! Auf die Plätze. Achtung … Kamera läuft!«
Vor dem Louvre stellt sich ein Bataillon von Models zum zehnten Mal zu einer ausgeklügelten Choreografie auf. Das Modehaus hat für diese Werbung eine Menge Geld lockergemacht: renommierter Regisseur, prachtvolle Kostüme, grandiose Kulisse, eine Fülle an Statisten, die den Star einrahmen, den das Modelabel zu seiner Ikone auserkoren hat.
Ich heiße Nikki Nikovski, ich bin fünfundzwanzig Jahre alt und eines dieser Mädchen. Nicht das Supermodel im Vordergrund, nein. Nur eine dieser Namenlosen in der vierten Reihe. Mitte der 1990er-Jahre hat eine Handvoll Topmodels – Claudia, Cindy oder Naomi – den Durchbruch geschafft und häuft langsam, aber sicher ein Vermögen an. Ich lebe jedoch nicht in ihrer Welt. Mein Agent Joyce Cooper hat mir dies übrigens schonungslos beigebracht: »Du kannst dich schon glücklich schätzen, dass du überhaupt mit nach Paris darfst.«
Mein Leben hat nichts von diesen verlockenden Märchen, wie sie Starmodels in Frauenzeitschriften beschreiben. Ich wurde nicht mit vierzehn Jahren an einem Strand oder in einem Einkaufszentrum vom Fotografen einer Eliteagentur entdeckt, der »zufällig« in mein Kaff in Michigan kam. Nein, ich habe erst spät mit dem Modeln angefangen, nämlich als ich mit zwanzig Jahren nach New York kam. Sie haben mich noch nie auf einem Cover von Elle oder Vogue gesehen, und wenn ich gelegentlich über den Laufsteg gehe, dann für zweitrangige Modeschöpfer.
Wie lange wird mein Körper das aushalten?
Meine Füße und mein Rücken schmerzen. Mir ist, als würden meine Knochen gleich brechen, aber ich reiße mich zusammen, um eine gute Figur zu machen. Ich habe gelernt, mein Lächeln gefrieren zu lassen, meine wohlgeformten Beine und meinen Busen zur Geltung zu bringen und mit einem wiegenden Gang jeder meiner Bewegungen etwas Elfenhaftes zu verleihen.
An diesem Abend ist die Elfe jedoch erschöpft. Ich bin in aller Früh per Flugzeug angekommen und reise morgen wieder ab. Mit Urlaub hat das nichts zu tun! Die letzten Monate waren schwierig. Den Winter habe ich damit zugebracht, mit meiner Mappe unter dem Arm von einem Casting zum nächsten zu ziehen. Vorortzug nach Manhattan um sechs Uhr morgens, Shootings in schlecht geheizten Studios, Low-Budget -Drehs für Billigwerbung. Jeden Morgen werde ich etwas stärker mit
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