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Sieben Jahre später

Sieben Jahre später

Titel: Sieben Jahre später Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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Lippen und Lidern kam Sebastian langsam wieder zu sich. Er versuchte, ein Auge zu öffnen. Verschwommen nahm er das Stimmengewirr der Menschenmenge wahr und, weiter entfernt, den Verkehr auf dem Boulevard. Mühsam rappelte er sich hoch.
    Mit seinem Jackenärmel wischte er das Blut ab, das aus Mund und Nase rann.
    Man hatte ihm alles weggenommen. Seine Brieftasche, sein Geld, sein Handy, seinen Pass, seinen Gürtel, seine Schuhe. Sogar die Sammleruhr, die er von seinem Großvater geerbt hatte.
    Tränen der Demütigung und des Verdrusses stiegen ihm in die Augen. Was sollte er Nikki erzählen? Wie hatte er so leichtgläubig sein können? Und besaß er bei allem guten Willen tatsächlich den nötigen Mut, um seinen Sohn zu finden?

Kapitel 27
    Die Terrasse lag über dem Hotelgarten.
    An die Balustrade gelehnt, lauschte Nikki dem besänftigenden Murmeln des alten Marmorbrunnens und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Dichtes Grün umgab das Haus. Zwei Reihen Zypressen, die sich über das gesamte Gelände erstreckten, erinnerten an eine toskanische Landschaft. Wilder Wein in herbstlichen Farben rankte sich entlang der Mauer und wetteiferte mit dem Jasmin, dessen weiße Blüten ihren betäubenden Duft bis ins Zimmer hinauf verbreiteten.
    Von einem Gefühl der Machtlosigkeit ergriffen, drehten sich Nikkis Gedanken im Kreis, seit Sebastian gegangen war. Unter anderen Umständen hätte sie die Poesie und Stille dieses Ortes genossen, nun aber nagte die Angst an ihr und machte ihr das Herz schwer.
    Da es ihr nicht gelingen wollte, sich zu entspannen, kehrte sie ins Zimmer zurück und ließ sich ein Bad einlaufen.
    Während das Wasser in die Wanne floss und den Raum mit leichtem Dampf erfüllte, ging Nikki zu dem alten Plattenspieler, der in der Mitte eines weißen Holzregals stand. Es war ein Phonokoffer, ein typisches Exemplar der 1960er-Jahre mit abnehmbarem Deckel, in dem ein Lautsprecher integriert war. Daneben eine Sammlung von etwa fünfzig alten Vinyl-Langspielplatten. Rasch schaute Nikki die Hüllen durch, die nur Kultalben enthielten: Highway 61 von Bob Dylan, Ziggy Stardust von David Bowie, The Dark Side of the Moon von Pink Floyd, The Velvet Underground & Nico …
    Schließlich entschied sie sich für Aftermath , ein Album aus der Zeit, als die Stones noch wirklich die Stones gewesen waren. Sie legte die Platte auf den Teller und setzte die Abspielnadel in die Rille. Und auf der Stelle ließen die Marimbariffs und die Basslinie von Under My Thumb das Zimmer vibrieren. Es hieß, Mick Jagger habe dieses Stück geschrieben, um mit dem Model Chrissie Shrimpton abzurechnen, mit der er damals liiert war. Den Feministinnen hatte der Text, in dem die Frau erst mit einem »zappeligen Hund« und später mit einer »Siamkatze« verglichen wurde, natürlich nicht gefallen.
    Nikki fand das Stück komplexer. Es handelte von dem Versuch der Dominanz in einer Paarbeziehung, von dem Wunsch nach Rache, wenn aus Liebe Hass wird.
    Sie stellte sich vor den großen ovalen schmiedeeisernen Spiegel, zog sich aus und betrachtete sich kritisch.
    Ein Sonnenstrahl fiel durch das Fenster auf ihren Nacken. Sie schloss kurz die Augen und wandte ihr Gesicht dem Licht zu, spürte, wie ihre Haut sich unter der Wärme belebte. Mit den Jahren hatte sich ihre Figur leicht gerundet, dank ihres intensiven Sportprogramms war ihr Körper jedoch straff geblieben. Ihre Brüste waren noch fest, ihre Beine sehnig, und ihre Taille war schlank.
    Dieser sinnliche Moment gab ihr wieder Selbstvertrauen.
    Bei der Wahl zur Miss Cougar hast du noch alle Chancen, Mrs Robinson …
    Sie drehte den Hahn zu und ließ sich in das warme Badewasser gleiten. Wie in alten Zeiten hielt sie den Atem an und tauchte mit dem Kopf unter Wasser. Früher hatte sie die Luft beinahe zwei Minuten anhalten können. Diese Zeit in der Schwebe nutzte sie jetzt, um Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.
    Zehn Sekunden …
    Der Wunsch, jung zu bleiben, verdarb ihr das Leben. Seit Jahren arbeitete sie wie besessen daran, ihre Attraktivität zu erhalten. Die Wahrheit war, dass sie sich nur durch ihr Äußeres dazu in der Lage fühlte, Männer zu verführen. Sie gefiel ihnen, weil sie sexy war. Stets nahmen sie zuerst ihren Körper wahr, niemals ihren Charme, niemals ihren Intellekt, ihren Humor oder ihre Bildung …
    Zwanzig Sekunden …
    Aber ihre Jugend verabschiedete sich. Auch wenn auf den Titelseiten der Frauenzeitschriften stand: »Vierzig Jahre sind heute wie dreißig Jahre!«, war das alles nur

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