Sieben Jahre später
hatte.
»Du wolltest das Sorgerecht für Jeremy gar nicht, nicht wahr?«, fragte sie leise.
Sebastian schwieg.
»Warum lehnst du deinen Sohn so sehr ab?«, beharrte sie, und Tränen stiegen ihr in die Augen. »Er ist ein lieber Junge, sehr sensibel und empfindsam. Er wartet ständig auf Anerkennung oder Aufmerksamkeit deinerseits, aber es kommt nie etwas.«
Sebastian steckte den Vorwurf kommentarlos ein, denn er wusste, dass er gerechtfertigt war.
Doch Nikki wollte verstehen. »Warum hast du nie versucht, ihn kennenzulernen?«
Er zögerte kurz und antwortete dann resigniert: »Es war zu hart.«
»Was war zu hart?«
»Er ist dir zu ähnlich. Er hat deinen Gesichtsausdruck, dein Lächeln, deinen Blick, deine Art zu sprechen. Wenn ich ihn sehe, sehe ich dich. Das ist unerträglich«, gestand er und wandte den Blick ab.
Damit hatte Nikki nicht gerechnet. Verblüfft stieß sie schließlich hervor: »Du hast auf Kosten deines Sohnes deine Eigenliebe gepflegt?«
»Mein Teil der Arbeit war Camille«, sagte er trotzig. »Sie ist reif, intelligent und gut erzogen.«
»Willst du die Wahrheit hören, Sebastian?«, rief Nikki, Tränen in den Augen. »Camille ist eine Zeitbombe. Bis jetzt hast du sie unter Kontrolle gehalten, aber das wird nicht so weitergehen. Und wenn sie dann gegen dich aufbegehrt, kannst du was erleben.«
Sebastian dachte an die Pillen, die er im Zimmer seiner Tochter gefunden hatte, trat zu ihr und legte den Arm um sie.
»Du hast recht, Nikki. Bitte, lass uns nicht mehr streiten. Wir müssen diese Situation gemeinsam durchstehen. Ich werde mein Verhalten gegenüber Jeremy ändern, und du kannst Camille sehen, so oft du willst. Ich verspreche dir, alles wird gut.«
»Nein, es ist zu spät. Der Schaden ist nicht mehr zu reparieren.«
»Man kann alles wiedergutmachen«, entgegnete er voller Überzeugung.
Während das Schiff unter dem Pont Neuf hindurchfuhr, hielten sie sich kurz in den Armen.
Dann gingen sie beide wieder auf Distanz.
Sie kamen an den Ständen der Bouquinisten am Quai Saint-Michel vorbei. Auf der Île de la Cité erkannte man die Conciergerie und am anderen Ende die gotische Silhouette von Notre-Dame. In der Ferne zeichneten sich auf der Île Saint-Louis die prachtvollen Stadthäuser ab.
»Lass uns versuchen, das Rätsel dieses Schlüssels zu lösen«, schlug Nikki vor, nachdem sie ihre dritte Zigarette ausgedrückt hatte. »Es gibt mit Sicherheit einen Hinweis, den wir übersehen haben. Diese Inszenierung hat einen Sinn. Wir müssen herausfinden, zu welchem Schloss dieser Schlüssel passt …«
Gemeinsam liefen sie auf dem Oberdeck auf und ab und suchten erfolglos nach einem passenden Schloss. Der Wind blies stärker, und es wurde kalt. Da Nikki fröstelte, legte ihr Sebastian seine Jacke um die Schultern. Zunächst lehnte sie ab, doch da er darauf beharrte, gab sie schließlich nach.
»Sieh mal!«, rief er und deutete auf eine Reihe von Metalltruhen, in denen die Schwimmwesten aufbewahrt wurden. Es gab mindestens ein halbes Dutzend, und jede war mit einem Vorhängeschloss versehen. Nervös probierten sie ein Schloss nach dem anderen aus, doch der Schlüssel passte zu keinem.
Verdammt …
Entmutigt zündete sich Nikki eine neue Zigarette an, die sie, an das Geländer gelehnt, schweigend teilten. Das Ufer war dicht bevölkert: Familien bei einem Picknick, Verliebte küssten sich, ältere Paare tanzten wie in einem Film von Woody Allen. Etwas weiter saßen Clochards herum, Gruppen Jugendlicher zeigten den Passagieren des Schiffs den Stinkefinger, ein Punk mit einem Hund rauchte einen Joint. Und überall wurde Alkohol getrunken: Bier, Wein, Wodka.
»Komm, lass uns wieder reingehen«, murmelte sie. »Mir ist kalt.«
Sie kehrten auf das untere Deck zurück. Im Salon herrschte ausgelassene Stimmung. Waren die Gäste zu Anfang des Essens noch zurückhaltend gewesen, so sangen sie jetzt aus voller Kehle die Lieder mit. Soeben hatte ein amerikanischer Tourist seiner Freundin mit einem Kniefall einen Heiratsantrag gemacht.
Nikki und Sebastian setzten sich wieder an ihren Tisch. Inzwischen war der Hauptgang serviert worden. Auf Sebastians Teller lag ein kaltes Steak neben einer erstarrten Sauce béarnaise, auf dem von Nikki zierten ein paar erbärmliche Gambas ein Häufchen Risotto. Als sie in dem Essen herumstocherten, trat der Violinist zu ihnen und spielte die ersten Takte der Hymne à l’amour . Diesmal vertrieb ihn Sebastian ohne Umschweife.
»Schenke mir noch Wein nach«,
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