Sieben Jahre später
die eiserne Brüstung geschlagen.
Was tun? Wohin gehen?
Unter einem Portalvorbau hielten sie an, um zu Atem zu kommen. Nun waren sie auf der Flucht und hatten die Polizei auf den Fersen. Durch einen wundersamen Zufall waren sie der Verhaftung entkommen, aber wie lange würden sie noch frei sein?
Zunächst einmal mussten sie zum Pont des Arts, um dort das rätselhafte Vorhängeschloss zu finden. Auch wenn Wachsamkeit geboten war, durften sie sich also nicht allzu weit von der Seine entfernen.
Sie verließen die großen Straßen des 7. Arrondissements und verloren sich in kleinen Gassen. Sobald sie einen Uniformierten sahen, machten sie kehrt, bei der geringsten verdächtigen Menschenansammlung wechselten sie die Straßenseite, und so brauchten sie fast eine Stunde, um ihr Ziel zu erreichen.
Trotz der Jahreszeit lag noch ein Hauch von Sommer über dem Pont des Arts.
Die metallene Brücke, die Fußgängern vorbehalten war, bot eine außergewöhnliche Aussicht: Mit einem Blick umfasste man die Bögen des Pont Neuf, den Square du Vert-Galant und die weißen Türme von Notre-Dame.
Nikki und Sebastian blieben wachsam, als sie die Brücke betraten. Für Mitte Oktober war es noch erstaunlich warm. In kleinen Gruppen saßen leicht bekleidete Jugendliche auf dem Boden beim Picknick, erfanden die Welt neu oder spielten auf der Gitarre und sangen dazu. Die Atmosphäre war kosmopolitisch – das Essen mehr als einfach: Chips, Sandwichs, Brathähnchen, Schokoriegel.
Und, in den USA unvorstellbar: Alkohol wurde in aller Öffentlichkeit konsumiert. Die meist noch recht jungen Leute – einige waren sicher nicht einmal volljährig – tranken in beeindruckendem Tempo und direkt aus der Flasche Bier und Wein. Die Stimmung war ausgelassen und friedlich.
Die »Liebesschlösser« hingen auf der ganzen Länge der Brücke zu beiden Seiten an den Geländern. Wie viele mochten es sein? Zweitausend? Dreitausend?
»Das schaffen wir nie …«, sagte Nikki resigniert und holte den Schlüssel aus ihrer Tasche.
Sebastian kniete sich hin und betrachtete die Vorhängeschlösser, von denen die meisten mit wasserfestem Filzstift beschriftet oder mit Gravuren versehen waren. Zumeist waren es zwei Initialen oder Namen, gefolgt von einem Datum:
T + L – 14. oct 2011
Elliott & Hena – 21 octobre
Innerlich musste Sebastian schmunzeln. An sich waren diese ewigen Liebesversprechen schön. So miteinander verbunden, schienen die Herzen der Liebenden für die Ewigkeit zusammengeschweißt. Doch wie viele dieser feierlichen Gelübde überdauerten tatsächlich die Zeit?
Nikki hockte sich neben ihn und nahm nun ihrerseits die love locks in Augenschein. Einige waren bemalt, andere in Herzform gegossen und mit den üblichen Schwüren versehen:
Je t’aime / Ti amo / Te quiero
Andere kündeten von einer weniger konventionellen Form der Liebe:
B + F + A
Oder noch freizügiger:
John + Kim + Diane + Christine
Wieder andere gaben sich nostalgisch:
Die Zeit vergeht, doch die Erinnerung bleibt …
Manche auch aggressiv:
Anna Scordelo ist ein Miststück.
»Wir dürfen keine Zeit verlieren«, rief Sebastian sie beide zur Ordnung.
Sie teilten sich die Arbeit auf: Sebastian suchte nach ABUS-Vorhängeschlössern, und Nikki probierte dann den Schlüssel aus. Sie stellte fest, dass alle Inschriften neueren Datums waren. Die Stadt ließ also offenbar die Liebesschlösser regelmäßig entfernen, um das Gitter zu erhalten.
Doch ihr mühsames Unterfangen blieb nicht unbemerkt und zog neugierige Blicke an.
ABUS – ABUS – ABUS – ABUS … diese deutsche Firma, von der sie nie zuvor gehört hatten, schien den Markt zu beherrschen; fast jedes zweite Schloss trug diese Aufschrift.
»Selbst wenn wir die ganze Nacht weitersuchen, kommen wir nicht durch!«, klagte Sebastian.
» Attention! «
Sie zuckten gleichzeitig zurück, doch offenbar waren die beiden uniformierten Polizisten nur gekommen, um die Feiernden daran zu erinnern, dass es verboten war, auf dieser Brücke Alkohol zu konsumieren. Die jungen Leute räumten folgsam ihre Flaschen weg – um sie wieder herauszuholen, sobald ihnen die Beamten den Rücken zugewandt hatten.
Das entging zwar den Polizisten nicht, doch sie hatten offensichtlich weder die Mittel noch die Anweisung, das Gesetz strikt durchzusetzen. Sie kümmerten sich um einen Betrunkenen, der drohte, ins Wasser zu springen, und versuchten, mit ihm zu diskutieren und ihn zur Vernunft zu bringen, doch der Trunkenbold beschimpfte sie und
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