Sieben Jahre
Schönheit. Manchmal spazierte ich, wenn Sonja schon im Bett war, hinunter zur Akademie und setzte mich an den See und dachte über mein Leben nach und darüber, was anders hätte kommen können. Dann war es mir, als sei mir alles ohne eigenes Zutun widerfahren, als sei es gekommen, wie es hatte kommen müssen. Ich bewunderte Menschen wie Antje, die ihr Leben in der Hand zu haben schienen, die Ziele hatten und Entscheidungen fällten.
Ich parkte vor dem Haus, aber Antje machte keine Anstalten auszusteigen. Ich habe nicht wirklich Lust, mit dir da reinzugehen, sagte sie leise. Das ist fast zwanzig Jahre her, sagte ich. Du sitzt hier in deinem kleinen Häuschen mit deiner schönen Frau und deinem süßen Kind. Schämst du dich denn überhaupt nicht? Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, sagte ich. Für heute habe ich genug gehört, sagte Antje und stieg aus.
Ich brachte sie ins Gästezimmer, das direkt neben dem Eingang und gegenüber dem Büro im Untergeschoss lag. Sonja hatte alles vorbereitet. Auf dem frisch bezogenen Bett lagen Handtücher, und auf dem Tisch am Fenster stand ein Blumenstrauß. Sogar eine Karte hatte sie geschrieben und an die Vase gelehnt. Antje las sie und stellte sie mit einem Lächeln zurück. Mathilda, unsere Katze, kam anspaziert. Schon lange hatte Sophie uns in den Ohren gelegen, und zu ihrem zehnten Geburtstag hatte sie das Kätzchen endlich haben dürfen, das ihr die Großeltern schon vor Jahren versprochen hatten. Aber jetzt, ein halbes Jahr später, hatte ihr Interesse spürbar abgenommen, und wir mussten sie dauernd ermahnen, sich um das Tier zu kümmern. Mathilda schlich um meine Beine und schaute dabei Antje an, die ihr Necessaire aus der Reisetasche nahm. Du hast dein eigenes Bad, sagte ich, gleich hier rechts. Die Katze bitte raus, sagte Antje. Ich fragte, ob sie keine Tiere möge. Ich mag wilde Tiere, sagte sie, keine Haustiere.
Ich sagte, gute Nacht, und wollte gehen. Warte, sagte Antje und ließ sich auf das Bett fallen. Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet. Weshalb erzählst du das alles ausgerechnet mir? Wir kennen uns doch kaum. Vielleicht deshalb, sagte ich. Weißt du noch, wie du mir damals deine Bilder gezeigt hast? Antje machte ein skeptisches Gesicht. Du hast sie nicht gemocht. Eigentlich hat niemand sie gemocht, nicht einmal ich selbst. Du hast gemeint, ich sei zu jung dafür, sagte ich, aber das war es nicht. Ich habe mich wiedererkannt in deinen kopulierenden Schimären. Ich fühlte mich ertappt, vielleicht wollte ich die Bilder deshalb nicht sehen. Machst du es dir nicht ein bisschen einfach?, sagte Antje. Du benimmst dich wie ein Schwein, und dann schiebst du es auf das Tier im Mann. Das nehme ich dir nicht ab. Vielleicht habe ich gedacht, du als Künstlerin verstehst das, sagte ich. Antje dachte nach. Den Wahn könne sie nachfühlen, aber was ich gemacht habe, verstehe sie nicht. Man müsse doch unterscheiden können zwischen Fiktion und Realität. Stell dir mal vor, einer würde das mit deiner Tochter machen. Ich sagte, das sei nicht fair, Sophie sei noch ein Kind. Darum geht es nicht, sagte Antje.
Wir sagten endgültig gute Nacht, und ich ging hinauf ins Zimmer von Sophie. Nur ein kleines blaues Nachtlicht brannte, und im spärlichen Licht wirkte Sophies Gesicht sehr ruhig. Während ich sie beobachtete, runzelte sie kurz die Stirn, und ich fragte mich, was in ihrem Kopf vorging, wovon sie träumte. Manchmal kam sie nachts zu uns ins Zimmer, ich erwachte, ohne zu wissen, wovon, und da stand sie neben dem Bett und starrte mich an mit verängstigtem Gesicht. Wenn ich sie zurück in ihr Zimmer schickte, sagte sie, sie habe einen schlimmen Traum gehabt. Dann erzählte sie wirre Geschichten, in denen wilde Tiere und böse Männer vorkamen und manchmal große zerstörerische Maschinen, und ich sagte ihr, sie solle versuchen, an etwas anderes zu denken, an etwas Schönes. Es geht nicht, sagte sie.
Ich ging ins Bad und zog meinen Pyjama an. Als ich mich hinlegte, erwachte Sonja kurz, gab mir einen Kuss und schlief sofort wieder ein. Ich dachte an die Bilder, die ich von ihr gemacht hatte, während sie schlief, und die sie dann entdeckt hatte. Da hatten wir uns zum ersten Mal geküsst, auf jener kleinen Insel vor dem Marseiller Hafen. Das alles schien sehr lange her zu sein.
Al s ich zu den Parkplätzen kam, war Sonja schon da. Sie stieg aus, begrüßte mich und öffnete den Kofferraum. Neben ihrem riesigen Schalenkoffer war kaum noch Platz für meine
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