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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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mich zugleich faszinierte und ärgerte. Ich war mir fast sicher, ihre Macht würde nur so lange währen, wie sie mich auf Distanz halten konnte. Wollte ich mich von ihr befreien, musste ich mit ihr schlafen.
    Ich hatte die Wäsche in eine der Maschinen gesteckt und Geld eingeworfen. In meinem Bungalow war es brütend heiß. Ich legte mich auf das Bett und starrte an die Decke. Ich war in jener unruhigen Stimmung, in der ich oft vor Reisen bin, wenn ich nichts mehr tun oder anfangen mag und nur noch herumsitze und warte. Vielleicht war das der Grund, weshalb ich mich in etwas hineinsteigerte, bis ich nicht mehr klar denken konnte.
    Ich ging schnell durch die fast leeren Straßen, in denen sich die Hitze staute. Ich schwitzte, und die wenigen Geräusche drangen wie durch einen Filter in meine Ohren. Die Gedanken drehten sich in meinem Kopf, ich muss sie haben, dachte ich immer wieder, sie will es, sie wartet auf mich. Vor dem Studentenwohnheim blieb ich kurz im Schatten des Vordachs stehen. Mein T-Shirt war nass geschwitzt, und ich war außer Atem vom schnellen Gehen. Noch könnte ich umkehren, dachte ich, und alles wäre wie vorher. Einen schwerelosen Moment lang schien die Zeit stillzustehen, aber es war kein Zögern, eher wie der Moment vor dem Start eines Rennens, ein Moment großer Ruhe und zugleich absoluter Konzentration. Dann sah ich meinen Finger auf Iwonas Klingelknopf drücken, und es war mir, als könnte ich das laute Schellen hören, das die Stille zerriss. Nach einer Weile sah ich Iwona durch die Glastür die Treppe herunterkommen. Sie trug einen dunkelblauen Rock und eine weiße Bluse, vermutlich ihre Sonntagskleider, die sie für den Kirchgang angezogen hatte. Als sie mich sah, zögerte sie einen Moment, dann nahm sie schnell die restlichen Stufen und entriegelte die Tür. Ich gab ihr die Hand, und sie verdrehte sich verlegen, eine Bewegung, die zu einem kleinen Mädchen gepasst hätte, aber bei ihr lächerlich wirkte. Ich folgte ihr die Treppe hinauf und in ihr Zimmer. Ich war immer noch sehr ruhig, aber Iwona musste gemerkt haben, dass etwas nicht stimmte. Sie ging rückwärts auf das Fenster zu, und ich folgte ihr. Diesmal wich sie nicht zum Bett aus, sondern blieb vor dem Fenster stehen. Ich fing an, ihre Bluse aufzuknöpfen. Sie legte ihre Hände auf meine und hielt sie fest, aber ich machte mich mit einer schnellen Bewegung los. Ich zog ihr die Bluse aus und den Rock, den Unterrock und die Strümpfe, die sie trotz der Hitze trug. Am Anfang wehrte sie sich ein wenig, aber ich war stärker als sie, und irgendwann gab sie jeden Widerstand auf. Als ich ihr die Unterhose hinunterzog, sagte sie, nicht, aber dann hob sie einen Fuß nach dem anderen, um herauszuschlüpfen. Ihre Haltung hatte etwas Plumpes, sie stand mit beiden Füßen fest auf dem Boden und versuchte, sich zu bedecken, aber ich hielt ihre Hände fest und kniete mich vor sie nieder und küsste sie. Ihr weißes unberührtes Fleisch hatte etwas Pflanzenhaftes, Vegetatives, die Falten der Haut, die voller Muttermale war, das schwarze, krause Schamhaar. Ich war fast bewusstlos vor Lust. Da drehte sie sich um und trat noch einen Schritt näher ans Fenster, so dass man sie von der Straße aus hätte sehen können. Ich stand auf und schaute, während ich mich schnell auszog, wie sie nach draußen. Es war weit und breit kein Mensch zu sehen, kein Zeuge, dachte ich unwillkürlich. Komm, sagte ich und wollte sie zum Bett ziehen. Da fing sie zu weinen an. Sie weinte immer heftiger, bis es ihren ganzen Körper in Krämpfen schüttelte. Sie sank in sich zusammen und blieb auf dem Boden hocken und weinte leise weiter. Es war, als erwache ich. Ich setzte mich auf das Bett und starrte sie an. Mir fiel der Satz von Aldo Rossi ein, dass es in jedem Zimmer einen Abgrund gebe. Dieser Abgrund hatte sich zwischen mir und Iwona aufgetan. Ich streckte die Hand nach ihr aus, um sie festzuhalten, um mich an ihr festzuhalten, aber sie wich vor mir zurück. Sie schaute mir in die Augen, ihr Blick war angsterfüllt und traurig. Schnell zog ich mich an und ging.

Da s ist keine schöne Geschichte, sagte Antje. Ihre Stimme klang ernst. Ich weiß, sagte ich, du bist der erste Mensch, dem ich das erzähle. Und warum gerade mir?
    Statt wie sonst die Straße über Traubing zu nehmen, war ich am See entlanggefahren, obwohl jetzt in der Nacht nicht viel zu sehen war. Früher hatte mich diese Landschaft gelangweilt, aber je länger ich hier wohnte, desto mehr sah ich ihre

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