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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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Sporttasche. Ich fragte, was sie denn alles dabeihabe, ich hätte gedacht, wir seien nur ein paar Tage unterwegs. Was man so braucht, sagte sie, und Bücher und meine Rolleiflex. Hast du deinen Fotoapparat dabei? Ich brauche keinen Fotoapparat, ich habe Augen im Kopf und ein gutes Gedächtnis. Du bist nur zu faul, sagte Sonja.
    Es war ein kühler Morgen, und alles wirkte frisch und sauber. Am Mittag sollte es heiß werden, aber dann würden wir schon in den Bergen sein, versprach Sonja. Sie hatte an alles gedacht, hatte die nötigen Straßenkarten dabei und Wasser und eine Thermoskanne mit Kaffee. In einer Kühltasche auf dem Rücksitz waren belegte Brote. Wir fahren über den San Bernardino, sagte Sonja, an Mailand vorbei und dann die ligurische Küste entlang. Das ist eine schöne Strecke. Ich sagte, ich könne sie gerne ablösen beim Fahren. Wir werden sehen, sagte sie.
    Es war wirklich eine schöne Fahrt. Wir hatten noch nie zuvor so viel Zeit miteinander verbracht, und wir verstanden uns bestens. Sonja sprach über Le Corbusier, sie wusste alles über ihn und sein Werk. Sie fragte, was ich gegen ihn habe. Nichts, sagte ich, er ist mir einfach nicht sympathisch. Seine Bauten haben etwas Besserwisserisches. Es kommt mir immer vor, als wollten sie mich zu einem idealen Menschen machen. Warst du überhaupt schon einmal in einem der Gebäude? Nein, sagte ich, aber ich habe viele Abbildungen gesehen. Sonja sagte, Bilder genügten nicht, die Qualität Le Corbusiers zeige sich eher in den Räumen als in den Fassaden. Außerdem sei das doch nichts Schlechtes, wenn ein Gebäude seine Bewohner zum Besseren verändere. Ich sagte, der Mensch habe eine Geschichte, die es zu berücksichtigen gälte. Alle Versuche, einen neuen Menschen zu erschaffen, seien im besten Fall gescheitert, im schlimmeren Fall hätten sie zu unsäglichen Verbrechen geführt. Was hat Le Corbusier eigentlich im Krieg gemacht? Sonja sagte, das sei nicht ganz klar, aber er sei ganz bestimmt kein Faschist gewesen. Vom Dekonstruktivismus wird in zwanzig Jahren kein Mensch mehr sprechen, sagte sie, aber Le Corbusier wird bleiben.
    Später sprachen wir über unsere Diplomarbeiten, und als ich Sonja erzählte, ich hätte noch einmal von vorn angefangen, schaute sie mich verwundert an. Ich erzählte ihr von meinen neuen Ideen. Dass die Struktur sich aus den Wegen ergebe und wachse, wie eine Pflanze, dass die Räume nicht einfach nur die Leere zwischen den Wänden seien, sondern atmosphärische Körper, Skulpturen aus Licht und Schatten. Während ich sprach, hatte ich das Gefühl, gar keine so schlechte Arbeit geleistet zu haben in der letzten Woche. Es ist natürlich sinnlos, jetzt wo ich das Diplom in der Tasche habe. Sonja fragte, ob ich nicht Lust hätte, mit ihr am Wettbewerb für den Kinderhort teilzunehmen. Ich wunderte mich, da sie vor ein paar Tagen alle meine Vorschläge verworfen hatte und unsere Ansichten über Architektur grundverschieden waren. Glaubst du, wir wären ein gutes Team? Du machst die interessanteren Fehler als ich, sagte Sonja und lachte.
    Am Mittag erreichten wir den Pass. Wir parkten den Wagen und aßen die Brote. Dann lagen wir in der Sonne, bis Sonja sagte, es gehe weiter. Ich fragte, ob ich sie ablösen solle, aber sie schüttelte den Kopf, später vielleicht, sie sei noch nicht müde. Ich war nicht unglücklich darüber, denn ich war kein routinierter Fahrer und genoss es, faul neben Sonja zu sitzen und aus dem Fenster auf die vorüberziehenden Landschaften zu schauen.
    Irgendwie kamen wir auf Rüdiger zu sprechen. Ich fragte Sonja, weshalb sie sich von ihm getrennt hatte. Er hat sich von mir getrennt. Das verstehe ich nicht, sagte ich, wie man eine Frau wie dich aufgeben kann. Sonja drehte kurz den Kopf zu mir und lächelte ironisch. Sag ihm das.
    Sie seien schon am Gymnasium zusammen gewesen, erzählte sie, sie seien nur ein paar Kilometer voneinander entfernt aufgewachsen. Rüdiger habe sich wegen ihr für das Architekturstudium entschieden. Er hätte genauso gut etwas anderes machen können. Du kennst ihn ja, kann alles und tut nichts.
    Sonja hatte sich zu Beginn des Studiums ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft genommen, Rüdiger fuhr jeden Tag von Possenhofen in die Stadt. Wir hatten eine gute Zeit, aber es hat mich genervt, dass er immer noch bei seinen Eltern wohnte. Seine Mutter ist doch nett, sagte ich. Ja, das ist sie, sein Vater auch, aber Rüdiger kann sich nicht gegen seine Eltern durchsetzen. Irgendwann habe ich

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