Sieben Jahre
als liege in diesen Texten eine Wahrheit, die sich nicht beweisen ließ, die ich aber intuitiv begriff. Über Aldo Rossi war ich auf Etienne Louis Boullée gestoßen, einen klassizistischen Architekten, der kurz vor der Französischen Revolution schwermütige Monumentalbauten geplant hatte, von denen keiner ausgeführt worden war. Ich war fasziniert von seinem Umgang mit Licht, das in den Zeichnungen nichts Selbstverständliches hatte, sondern wie eine Substanz wirkte. Es sah aus, als stemmten sich die Gebäude gegen einen Strom aus Licht, gegen den Strom der Zeit.
Ich füllte Notizbücher mit wirren Gedanken und mit Entwürfen riesiger Anlagen ohne bestimmten Zweck, Archive, Kenotaphe, Festungen, halb in der Erde versunkene, fast fensterlose Gebäude, in die das Licht nur wie ein Zeichen eindrang.
Als ich in einem Brief an Sonja Aldo Rossi zitierte, jeder Sommer ist mir als der letzte erschienen, schrieb sie spöttisch zurück, ihr erscheine dieser Sommer als der erste. Sie hatte Rossis Melancholie nie gemocht, seine Rückwärtsgewandtheit. Sie glaubte daran, die Welt durch Architektur verändern zu können, und wenn ich einwarf, alle großen Werke seien vollbracht, verhöhnte sie mich und sagte, das sei nur eine Entschuldigung für fehlenden Tatendrang.
Unsere Wohnung lag im zweiten Stock eines Mietshauses in einer engen Straße. Solange Sonja hier gewohnt hatte, war ich immer gerne da gewesen, aber seit sie ausgezogen war, fühlte ich mich in den Räumen nicht mehr recht wohl. Der Schnitt der Wohnung hatte etwas Unharmonisches, und es fehlte ihr an Tageslicht. Mein Zimmer war schmal und lang und im Verhältnis zu hoch. Ich hatte den Tisch vor dem Fenster aufgebaut, trotzdem fühlte ich mich, wenn ich zu arbeiten versuchte, zugleich ausgesetzt und eingeklemmt. Die einzige Heizung, die wir hatten, war ein Ölofen im Wohnzimmer, und wenn ich die Zimmertür schloss, um meine Ruhe zu haben, wurde es im Zimmer schnell kalt. So lag ich, wenn ich zu Hause war, meistens auf meiner Matratze, die in einer Ecke des Zimmers auf dem Boden lag, und las oder döste vor mich hin.
Das Zusammenleben mit Birgit und Tanja erwies sich als schwierig. Sonja hatte sie überredet, mich aufzunehmen, aber eigentlich wollten die beiden keinen Mann in der Wohnung. Bei Birgit, die sich gerade auf das zweite Staatsexamen vorbereitete, hatte ich schon früher oft das Gefühl gehabt, sie sei eifersüchtig auf mich, aber als ich Sonja darauf angesprochen hatte, hatte sie nur gelacht und den Kopf geschüttelt und gesagt, Birgit habe zwei Schwestern, sie sei es einfach nicht gewohnt, am Morgen vor der Badezimmertür einem Mann zu begegnen. Tanja, meine zweite Mitbewohnerin, arbeitete als Assistenzärztin am Klinikum Bogenhausen. Anfangs hatten wir uns ganz gut verstanden, aber immer öfter provozierte sie Diskussionen über Drogen und Kindererziehung und vertrat erzkonservative Meinungen, die ich ihr gar nicht zugetraut hatte. Sie war jetzt oft wochenweise auf Kongressen oder Schulungen, und jedes Mal, wenn sie zurückkam, hatte sie ein neues Lieblingsthema, den Feminismus, die antiautoritäre Erziehung oder die Homosexualität, die sie allesamt für den Niedergang der Welt verantwortlich machte. Kurz nachdem Sonja abgereist war, fing Tanja an, ständig über Aids zu reden, und entwickelte einen absurden Hygienefimmel. Im Bad und in der Küche stellte sie Sprühflaschen mit Desinfektionsmittel auf, die sie aus dem Klinikum mitgebracht hatte, und jeder bekam sein eigenes Fach im Kühlschrank, und Lebensmittel durften nicht mehr geteilt werden. Dann fing Tanja an, Leute mitzubringen, die im Wohnzimmer übernachteten und versuchten, Birgit und mich von ihren Meinungen zu überzeugen. Es stellte sich heraus, dass sie alle Mitglieder eines dubiosen Vereins für Menschenkenntnis waren. Birgit stritt sich oft mit ihnen, aber ich zog mich in mein Zimmer zurück oder schaltete demonstrativ den Fernseher ein und drehte den Ton so laut, dass keine vernünftige Diskussion mehr möglich war. Die Stimmung in der Wohngemeinschaft war entsprechend schlecht. Trotzdem suchte ich nur halbherzig nach einer neuen Wohnung.
Die meisten meiner Kommilitonen waren weggezogen. Ferdi hatte eine Stelle in Berlin gefunden, und Alice war mitgegangen, Rüdiger war für ein paar Monate unterwegs in Südamerika und schrieb Postkarten aus Buenos Aires und Brasilia. Ich beneidete ihn weniger um die Reise als um die Energie, sie unternommen zu haben. Es war mir, als sei ich der
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