Sieben Jahre
auch für Iwona nur eine Geschichte. Mir war schon mehrfach aufgefallen, dass sie kaum je von sich erzählte. Und auch nach meinem Leben fragte sie mich nie. Ich merkte nur manchmal aus ihren Äußerungen, dass sie die Gesellschaft, in der ich mich bewegte, geringschätzte, wie sie ihre eigene Umgebung zu verachten schien. Es war, als gelte ihr nichts etwas außer unseren heimlichen Treffen.
Ich konnte Iwonas Gefühle verstehen. Auch ich bewegte mich in einer Umgebung, in die ich eigentlich nicht gehörte, nur hatte ich mich im Gegensatz zu ihr mit der Situation arrangiert aus Feigheit oder aus Opportunismus. Die üppigen Familienfeiern bei Sonjas Eltern, die Konzert- und Theaterbesuche, die Herrenrunden, in denen Zigarren geraucht und über Autos und Golf gesprochen wurde, gehörten in eine andere Welt. Im Grunde sehnte ich mich nach der kleinbürgerlichen Umgebung meiner Kindheit mit ihren klaren Regeln und einfachen Gefühlen. So beschränkt sie gewesen war, schien sie mir doch aufrichtiger und realer. Wenn ich bei meinen Eltern war, musste ich mich nicht verstellen, mich nicht bemühen, besser zu sein, als ich war. Ihre Zuneigung galt mir als Mensch und nicht meinen Leistungen als Architekt. Zudem waren sie viel feinfühliger als Sonjas Eltern. Sie merkten sofort, wenn etwas nicht stimmte. Ihre Moralvorstellungen mochten eng sein, aber sie hatten Verständnis für menschliche Schwächen und waren bereit, alles zu verzeihen. Ich war sicher, dass sie Iwona mögen, dass sie sie als eine von ihnen aufnehmen würden. Mit Sonja waren sie nie recht warm geworden, auch wenn sie das mir gegenüber nicht zugegeben hätten. Ich war ein paar Mal nahe daran gewesen, mit meiner Mutter über Iwona zu sprechen. Ich war sicher, dass sie mich verstehen würde, auch wenn sie mein Verhalten bestimmt missbilligt hätte. Vermutlich tat ich es nicht, weil ich mich vor ihrem Rat fürchtete, weil ich wusste, was sie sagen würde.
Ich hatte in den sieben Jahren, die ich mit Sonja verheiratet war, zwei kurze Affären gehabt mit einer Assistentin im Büro und mit einer Nachbarin, deren Kind wir manchmal hüteten. Und auch Sonja war einmal fremdgegangen. Wir hatten uns die Affären gestanden und waren, wenn auch nicht ohne Narben, darüber hinweggekommen, hatten seither vielleicht sogar eine bessere oder wenigstens eine stabilere Beziehung. Aber mein Verhältnis mit Iwona hätte ich Sonja nicht beichten können. Es schien in einer Welt stattzufinden, in der andere Gesetze galten als in unserer. Ich hätte Sonja mein Verhalten nicht erklären können, ich konnte es mir ja selbst kaum erklären.
Einmal fragte ich Iwona, ob sie irgendwann zurückwolle in ihre Heimat. Sie sagte, nein, sie müsse hier bleiben. Ich fragte nicht weshalb. Aber ich gebe zu, dass ich erleichtert war.
Ich traf mich seit vielleicht sechs Monaten wieder mit Iwona, als Hartmeier sich bei mir meldete. Er rief im Büro an, ich wusste erst gar nicht, wer am Apparat war. Erst als er sagte, wir hätten uns bei Iwona kennengelernt, fiel mir ein, wer er war. Er fragte, ob wir uns sehen könnten. Ich fragte, worum es ginge, aber er wollte das lieber persönlich mit mir besprechen. Etwas unwillig verabredete ich mich mit ihm in einem Café in der Nähe von Iwonas Wohnung. Dort seien nie viele Leute, sagte er, als plane er eine Verschwörung.
Es war November, und es hatte seit Tagen geregnet. Gegen Mittag hörte es auf. Jetzt war es kalt, und es roch nach Schnee. Als ich zum Café kam, war es draußen schon dunkel, und durch die großen Glasscheiben sah ich Hartmeier vor einem fast leeren Glas Bier sitzen. Er war der einzige Gast und unterhielt sich mit der Bedienung.
Ich trat an seinen Tisch. Er stand auf und gab mir förmlich die Hand. Ich bestellte etwas, und wir setzten uns einander gegenüber wie zwei Schachspieler. Hartmeier nippte an seinem Bier und schaute mich schweigend an, bis ich fragte, worum es ginge. Um Iwona, sagte er. Er hatte einen selbstgefälligen Gesichtsausdruck, der mich misstrauisch machte. Das habe ich mir gedacht, sagte ich. Wieder schwieg er. Dann sagte er, es sei eine etwas delikate Angelegenheit, er wolle mir nicht zu nahe treten, aber er finde es nicht richtig, wie ich Iwona behandle. Ich fragte mich, wie viel er wusste. Ich hatte nicht die Absicht, mich ihm anzuvertrauen, und fragte, um Zeit zu gewinnen, wie er das meine. Sie liebt Sie, sagte er und seufzte tief. Ich zuckte mit den Schultern. Von ganzem Herzen, fügte er hinzu. Sie hat
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