Sieben Jahre
dass ich mitkomme. Sie brauche Zeit, um nachzudenken. Du kannst ja deine Polin kommen lassen. Ihre Stimme klang eher kalt als bitter. Sonja ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen, und schließlich gab ich ihr den Autoschlüssel und half ihr mit dem Gepäck. Ich bat sie anzurufen, wenn sie zu Hause wäre.
Zwei Stunden später rief sie an. Ich hatte eine Flasche Wein mit aufs Zimmer genommen und mich aufs Bett gelegt und schaute fern. Ich schaltete den Ton aus, als das Telefon klingelte. Sonja sagte, sie sei gut angekommen, dann schwieg sie, aber ich merkte, dass sie reden wollte. Es schien ihr leichter zu fallen, am Telefon mit mir zu sprechen. Sie sagte, sie habe nachgedacht auf der Fahrt.
Wir redeten wohl zwei Stunden lang über unsere Beziehung, über unsere Affären, über unsere Erwartungen und unsere Wünsche. Sonja weinte, und irgendwann weinte auch ich. Ich hatte mich ihr noch nie so nah gefühlt. Wir werden es das Kind nicht spüren lassen, sagte sie, nicht wahr? Wir werden es aufziehen wie unser eigenes Kind. Freust du dich darauf? Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie, sie wisse es nicht. Sie glaube schon. Du wirst eine wunderbare Mutter sein, sagte ich. Sie versprach, am nächsten Tag wieder heraufzukommen, wir hätten viel zu besprechen. Schlaf gut, sagte ich. Ich liebe dich.
Am nächsten Tag kam Sonja wieder ins Hotel. Über Nacht hatte es geschneit, und das letzte Stück der Straße war noch nicht geräumt gewesen, und sie hatte im Tal warten müssen und war dann hinter dem Pflug hergefahren. Als sie endlich ankam, begrüßten wir uns, als hätten wir uns lange nicht gesehen. Dann gingen wir im Schnee spazieren und redeten noch einmal über alles. Wir kosteten die Versöhnung der vergangenen Nacht aus, indem wir uns immer wieder sagten, was wir falsch gemacht hatten und was wir besser machen wollten und wie unser Leben sein würde und dass wir uns liebten. Unsere Worte waren Beschwörungsformeln, als würde alles nach unseren Wünschen geschehen, wenn wir es uns nur oft genug versicherten. Geht es uns nicht gut?, sagte Sonja. Ja, sagte ich, alles wird gut. Und in diesem Moment glaubte ich es wirklich. Es schien möglich in dieser Landschaft, die sich in einer Nacht verwandelt hatte in eine reine, gleißende Oberfläche.
Ferdi und Alice kamen am Nachmittag an. Sonja und ich hatten uns etwas hingelegt nach dem Mittagessen, wir hatten beide nicht viel geschlafen in der vergangenen Nacht. Gegen vier klingelte das Telefon. Es war Ferdi, und wir verabredeten uns für eine halbe Stunde später unten im Restaurant.
Ich wusste sofort, dass es ein Fehler gewesen war, die beiden hier oben zu treffen. Er habe die Fahrt in fünfeinhalb Stunden geschafft, prahlte Ferdi, noch bevor wir uns die Hände geschüttelt hatten. Er hatte zugenommen und ziemlich viele Haare verloren, und obwohl er die ganze Zeit redete und lachte, wurde ich das Gefühl nicht los, etwas stimme nicht. Alice war noch dünner als vor sieben Jahren. Sie hatte etwas Verhärmtes und wirkte zugleich aufgekratzt und müde. Auch sie redete viel. Sie traf immer noch ausschließlich geniale Menschen und besuchte wunderbare Konzerte und Kunstausstellungen. Berlin sei so viel interessanter als München, sagte sie, wenn sie nach Bayern zurückkomme, packe sie das kalte Grauen. Ich fragte sie, ob sie noch Geige spiele. Sie wolle wieder anfangen, sagte sie, wenn die Kinder etwas älter seien. Sie hatten zwei Mädchen, die sie auf dem Weg hierher bei Ferdis Eltern abgeladen hatten und die, glaubte man Alice, beide hochintelligent waren und außergewöhnlich musikalisch. Ferdi und Alice wechselten sich ab mit Geschichten über die Kleinen, über ihren Witz und die intelligenten Fragen, die sie stellten, und die tiefsinnigen Dinge, die sie sagten. Nach einer Weile fragte Alice, ob wir keine Kinder wollten. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, aber Sonja sagte schnell, bis jetzt habe es nicht geklappt. Wie alt bist du? Dreiunddreißig. Dann habt ihr ja noch etwas Zeit, sagte Alice. Sie sei dennoch froh, ihre Kinder früh bekommen zu haben. Ferdi legte ihr eine Hand auf die Schulter und lehnte sich weit über den Tisch, als wolle er uns ein Geheimnis verraten. Die Mädchen sind das Beste, was uns hat passieren können. Das kann man sich gar nicht vorstellen, wenn man keine Kinder hat, sagte Alice, aber es ist eine unglaubliche Bereicherung. Die Prioritäten ändern sich, sagte Ferdi, manche Dinge verlieren ihre Bedeutung. In Berlin möchte ich
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