Sieben Leben
Treppenhaus zurechtgelegt hatte.
„Bitte nicht. Nicht schon wieder einer Erklärung“, sagte
Silvia und der Moment war vorüber. Keine Erklärungen mehr. Der warme Schimmer
in ihrem Blick hatte sich verflüchtigt.
In meinem allerdings auch. Jetzt hatte auch ich langsam
genug. Schließlich kam ich nicht zum Spaß so spät, oder? Sie hätte wenigstens
fragen können, wieso ich kein Gepäck bei mir hatte oder wo mein Schuh war.
Sie hingegen fragte: „Was ist mit meinen Autoschlüsseln?“
Wortlos warf ich ihr den Schlüsselbund zu. Sie ging zur Tür.
Wartete kurz, ob ich noch etwas sagen würde. Ich sagte nichts. Schließlich
würde sie in zwei Minuten wieder oben sein, um zu fragen, wo zum Teufel ihr
Auto war.
Ich sollte mich täuschen. Als ich die Reifen quietschen
hörte, fiel mir ein, daß an dem Schlüsselbund ja auch der Schlüssel für meinen Wagen hing. Ich war zu
erschlagen, um mich noch wirklich aufregen zu können. Ohne Führerschein
brauchte ich eh keinen Wagen.
Durch die Wohnung zog der Duft von abgestandenem Essen.
Kerzen. Silvia hatte tatsächlich etwas für uns gekocht. Das hatte sie noch nie
getan. Solange wir uns kannten. Wenn man mal Tiefkühlpizza und Spaghetti
Bolognese außen vor ließ. Ich kostete. Kalt war das Zeug ungenießbar.
Ich schleppte mich zur Couch und öffnete den Jack Daniels.
Eigentlich mag ich Scotch lieber, eine Marotte, die ich mir von Jerry Cotton
abgeschaut hatte, den ich in einem gewissen Alter für den Inbegriff
angelsächsischer Coolness hielt, was sicher auch damit zusammen hing, dass ich
keine Ahnung hatte, dass es sich um eine durch und durch deutsche Romanserie
mit deutschen Autoren handelte, was ich zu diesem Zeitpunkt für alles andere
als cool gehalten hätte, aber das war jetzt auch egal. Ich wollte etwas kaputt
machen. Unvernünftig, ich weiß. Aber ich dachte, ich müsse platzen, wenn ich
nicht irgend etwas zerschmetterte.
Ein Blick auf die Flasche in meiner Hand und ich öffnete das
Fenster. Ich war zwar schon betrunken genug, um mit Whiskey-Flaschen um mich zu
schmeißen, aber noch nicht so betrunken, daß ich mein eigenes Fenster
eingeworfen hätte. Hinten im Hof war um diese Zeit kein Mensch, also
schleuderte ich das Ding einfach mit voller Kraft hinaus in die Nacht.
Ich fühlte mich besser. Bis ich das Klirren von Glas hörte.
Es klang nach viel mehr Glas als hätte sein dürfen bei einer so kleinen
Flasche.
Wie konnte ich auch
wissen, daß mein Vermieter seinen nagelneuen Wagen in den Hof fahren würde. Er
hatte ihn erst heute bekommen, einen 911er, nach zehn Monaten Wartezeit. Ein
Traum von einem Auto. Jetzt allerdings ohne Windschutzscheibe.
Ich stand oben am Fenster und versuchte, die Welt wieder in
den Griff zu bekommen. Wenigstens den kleinen Ausschnitt, der vor meinen Augen auf
und ab tanzte und nicht stillstehen wollte.
„Du blöder Idiot“, murmelte ich zu mir selbst.
„Du blöder Idiot!“ Diesmal laut und deutlich. Ich weiß
nicht, ob ich vornehmlich den Verlust der Whiskey-Flasche bereute, aus der ich
jetzt gerne noch einen Schluck genommen hätte, oder dem Moment nachtrauerte, in
dem ich Silvia verloren hatte, wann immer das gewesen ein mochte.
Wahrscheinlich war es der ganze idiotische Tag, den ich
verfluchte.
Auf keinen Fall hatte ich aber meinen Vermieter im Sinn, der
mit Tränen in den Augen neben seinem Auto stand und fassungslos zu mir herauf
starrte, als ich meine Beschimpfungen in den Hof brüllte.
Ich verzog mich ins Schlafzimmer und ließ mich so wie ich
war aufs Bett fallen. Für heute hatte ich genug.
Das Beraterleben war anstrengender, als man so dachte.
Leben Nr. 4: Überraschung Ein
Leben im Marketing
Die Sonne drang durch einen Spalt im Vorhang und kitzelte
mich rücksichtslos in der Nase.
Heute war ein besonderer Tag. Aber der Sonne war das egal.
In Hotelzimmern gab es immer einen Spalt im Vorhang, durch den sich die
Sonne in aller Herrgottsfrühe frech ins Zimmer stehlen und dort ungeniert umtun
konnte.
In dem hellen Lichtstrahl tanzten tausende Staubkörnchen ein
scheinbar schwereloses Tänzchen. Mit einem kehligen Schnurren schob sich Amira
näher an mich heran, während ich darüber sinnierte, warum Hotels eigentlich so
versessen auf Vorhänge waren. Habe eigentlich noch nie ein Hotel mit normalen Jalousien
gesehen.
Amira hatte ihren Kopf an meine Schulter gebettet und hielt
mich mit einem Bein umschlungen. Sie roch nach Mandel und Schlaf. Wie ein
Lebkuchen. Ihr Knie ruhte angewinkelt
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