Sieben Leben
eigentlich aussah. Nun gut, in dieser
Hinsicht hatte ich offensichtlich auch nichts verpaßt, aber ich sollte nicht zu
lange auf der gleichen Metapher herumreiten. Immerhin schrieb ich seit einiger
Zeit wieder. Nicht an dem Roman, der mich berühmt machen würde, nein, so weit
war ich noch immer nicht, aber wenigstens mal hier eine Kolumne oder da eine
Kurzgeschichte. Das sollte meinem Schreibstil doch eigentlich irgendwie zugute
kommen?
Jedenfalls hatten die vielen Nächte in den Hotelbars ihre
Spuren unter meinen Augen hinterlassen und ich beschloß, dass es Zeit für etwas
Neues war. Ich hatte noch einige Leben vor mir.
Vielleicht hatte es auch eine Rolle gespielt, dass Amira
mich verlassen hatte. So eine Trennung war immer ein schöner Anstoß, etwas
Neues zu beginnen. War auch ein Anlaß für weitere Ringe unter den Augen. Erst
recht in der Variante des Verlassen werdens. Wie ein Schmetterling war Amira
durch mein Leben geschwebt, fröhlich aber flatterhaft, und genauso war sie dann
eines Tages wieder davon geflattert.
Ich hatte den Blues. Das beste Mittel gegen den Blues wäre natürlich
eine neue Liebe gewesen, aber die war gerade nicht in Sicht. Das zweitbeste
Mittel, befand ich, war neuer Job, in den ich mich stürzen konnte.
Was also wollte ich tun? Gegen ein bißchen Reisen hatte ich
nichts einzuwenden. Aber das immer gleiche Spiel mit beliebig auswechselbaren Geschäftspartnern
- wer gibt als Erster auf und zieht sich, seine Müdigkeit zugebend, auf’s
Zimmer zurück, um am nächsten Morgen wieder ‚fit’ zu sein - das wollte ich
nicht mehr spielen. Das war ich, wenn schon nicht meiner
Schriftstellerkarriere, zumindest meinen Augenringen schuldig.
Meinem Bankkonto wiederum war ich es schuldig, mich
gegenüber meinem bisherigen, recht ansehnlichen Salär, nicht wesentlich zu
verschlechtern.
Keine Frau und kein Geld, das machte keinen Sinn.
Also Vertrieb.
Im Vertrieb wurden gute Gehälter gezahlt und die berühmten
Soft Skills wogen schwerer, als Faktenwissen und technischer Sachverstand. Man
mußte halt ein Händchen für die Sache haben, und das hatte ich. Fand ich.
Jetzt hieß es nur aufpassen, nicht vom Regen in die Traufe
zu kommen, was die Reise- und Arbeitszeiten betraf. Und so landete ich bei
einer Versicherung. Ich kannte Herrn Kaiser von der Hamburg-Mannheimer aus
meiner Jugend noch persönlich. Also seine Fernsehspots. Das hatte mein Bild vom
Versicherungsvertreter nachhaltig geprägt – und so extrem stressig kam mir die
Tätigkeit nicht vor.
Um so überraschter war ich, als mir eine der führenden
deutschen Versicherer folgenden Deal anbot: Eine lukrativ dotierte Position im
Außendienst mit weiteren Aufstiegschancen, wenn ich zuvor einige Zeit im
Innendienst verbringen würde, um das Unternehmen und seine Produkte gründlich
kennenzulernen.
Verglichen mit den Erfahrungen aus meinen vorherigen Leben
war das eine ziemlich konservative, um nicht zu sagen antiquierte
Geschäftsphilosophie. Aber vielleicht hatte es ja einen Grund, dass die
Versicherungen eine der stabilsten Branchen im Lande waren und auch durch
größere Krisen in der Regel viel weniger in Mitleidenschaft gezogen wurden, als
die Banken oder das produzierende Gewerbe.
Ich dachte ein paar Tage über das Angebot nach, dann nahm
ich es an. Es schien mir solide. Produkte zur betrieblichen Altersvorsorge;
viel solider ging es nicht mehr, ohne Steinmetz zu werden. Nichts Oberflächliches
oder Flatterhaftes und von flatterhaft hatte ich für’s Erste die Nase voll. Da
war immer noch der Blues.
Ich fand, die Tatsache, dass ich auf den Deal eingegangen
war, zeigte, wie sehr ich mittlerweile gereift war. Wurde Zeit, dass auch mein
Schreibstil ein wenig reifte. Ich sollte es zum Beispiel mit mehr Dialog
versuchen. Wörtliche Rede anstatt deskriptiver Prosa. Das konnte meiner
Geschichte nur guttun. Von zielgerichteten Einführungen ganz zu schweigen.
Ich blickte über das Polystyrol
hinweg meinen Zimmernachbarn an. Wenn ich gewußt hätte, dass der Deal für die
ersten zwölf Monate noch nicht mal ein Einzelbüro beinhaltete, wer weiß, wie
ich mich entschieden hätte. Von Vogelaugenahorn ganz zu schweigen, aber diese
Metapher hatte jetzt tatsächlich ihr Verfallsdatum überschritten.
Mein Zimmergenosse Martin strahlte.
„Ich gehe heute mit dem Kleinen zur Modellbahn-Ausstellung“,
verkündete er. „Da muß ich schauen, dass ich demnächst Land gewinne.“
„Schön für Dich“. Ich seufzte. Martin war ein
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