Sieben Leben
auszuweiden.
Ich röchelte eine Weile benommen vor mich hin.
Ein Windhauch blies mir ins Gesicht. Kalt, feucht,
unangenehm. Wo kam der verdammte Wind her?
Ich stöhnte und fröstelte. Nicht mehr lange, und ich wäre
unwiderruflich wach.
Das Hämmern und Sägen ging derweil in die nächste Runde.
Kaum wahrnehmbar zwischen dem lärmenden Schmerz drang ein Plätschern an mein
Ohr und verstärkte den Eindruck von klammer Feuchtigkeit. Es roch sogar
feucht.
Vielleicht hatte es geregnet? Hatten wir die Fenster nicht
richtig zugemacht und jetzt stand die Wohnung unter Wasser? So betrunken konnte
doch niemand sein?! Nein, das war etwas anderes. Etwas, was überhaupt nicht ins
Haus gehörte. Verdammt. Ganz langsam öffnete ich die Augen.
Ich blinzelte. Würgte. In meinem Mund der unschöne Geschmack
von schon mal Gegessenem. Aber das war jetzt Nebensache.
Ich blinzelte wieder und wieder. Weil ich nämlich direkt in
die Sonne schaute. Eine nebelverhangene, kalte Sonne. Aber ohne Zweifel eine
Sonne. Was war hier los? Und wo zum Teufel war das verdammte Dach?
Ganz langsam, mit unendlicher Vorsicht, tauchte mein matter
Geist aus den fiebergeränderten Schattenwelten auf, in denen er die Nacht
verbracht hatte, und torkelte an die Oberfläche des Wachbewußtseins.
Ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Mit Schrecken
registrierte ich aus den Augenwinkeln, dass jemand direkt neben mir saß. Und es
sah nicht so aus, als wäre es meine Frau. Die hätte ich selbst in diesem
Zustand wiedererkannt. So lange waren wir nun auch wieder nicht verheiratet.
Ich wollte aufstehen.
Es ging nicht.
Ich versuchte mich zu strecken und fragte mich, ob ich nicht
doch bloß in einem besonders hartnäckigen Albtraum steckte. Ich war nämlich
angekettet. Nicht an die unerbittliche Schwere des Seins, sondern an eine
dunkle Kette, deren breite Metallbänder sich um meine Handgelenkte schmiegten.
„So Jungs, alles aufwachen!“ Die Stimme donnerte durch die
Morgenluft wie ein Jagdgeschwader aus einem dieser alten Kriegsfilme. Bild in
schwarz-weiß, aber Soundeffekte in THX-Dolby-Suround-Qualität.
„Frühstück in 10 Minuten, und dann gehts los!“
Um mich herum erwachten andere Gestalten zum Leben. Ein
Dutzend, vielleicht auch mehr. Einige stöhnten, stierten lustlos vor sich hin,
andere waren augenscheinlich guter Dinge, soweit man guter Dinge sein konnte
nach einer Nacht im Freien und in Ketten.
Bevor Zeit für einen zusammenhängenden Gedanken war, tauchte
in meinem Blickfeld eine Ente auf. Sie trug einen schwarzen BH, Strapse und
hatte eine obszöne Tätowierung auf der Schwanzfeder. Abgesehen davon kam sie
mir vage bekannt vor.
Aus meiner Donald Duck Heftesammlung, eine Reminiszenz an meine belesene
Kindheit. Ich hatte mich schon immer für Literatur interessiert. Was machte
Daisy in diesem Outfit auf einem T-Shirt mit der Aufschrift ‘Duck Hunter’, das
sicherlich nicht zur offiziellen Walt Disney Kollektion gehörte?
In dem T-Shirt steckte ein braungebrannter, muskelbepackter
Oberkörper, seinerseits mit einer Reihe Tätowierungen verziert, die allesamt
nichts Gutes verhießen.
Bevor ich fragend den Mund aufmachen konnte, hielt Daisy mir
eine kleine Holzschale hin, die einen undefinierbaren Brei enthielt.
„Mahlzeit“, dröhnte Daisy und bewies damit wider Erwarten
einen subtilen Sinn für Humor.
Ohne die Schale an mich zu nehmen, schaute ich den Hünen vor
mir ungläubig an.
„Was zum ...?!“
Flop. Mit einem Achselzucken landete die Schale in meinem
Schoß und der Brei auf meiner Hose. Er war ziemlich heiß. Daisy war offenbar
nicht in Stimmung für Diskussionen.
„Sie sollten das lieber essen“, sagte eine Stimme neben mir.
Ich drehte mich mühsam um zu der Gestalt, die neben mir saß
und die nicht meine Frau war. Es war überhaupt keine Frau. Neben mir saß ein
Mann von vielleicht fünfzig Jahren und kurzem, stahlgrauen Haar. In Ketten.
„Wo sind wir hier?“
Der Mann machte eine ausladende Geste mit dem Kinn, während
er seinen Brei schlürfte als handle es sich um einen kulinarischen Geheimtip
aus der Sneak Preview des neuen Guide Michelin.
„Schauen Sie sich doch mal um...“
Um uns herum war Wasser. Richtig viel Wasser. So weit das
Auge reichte. Nein, das war sicher nicht mein Schlafzimmer.
Das gibt’s doch nicht, dachte ich. Ich bin auf einem Boot.
Ein Boot...
Von ganz weit her versuchte sich ein zerlumpter Fetzen der
Erinnerung zu Wort zu melden. Ein Boot...
„Wenn Sie den Brei nicht mögen, nehme ich
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