Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends
fragte Dea Goten, wohin sie eigentlich unterwegs waren.
»Wir werden sehen«, erwiderte er vage.
»Was soll das heißen ,Wir werden sehen’? Willst du’s mir nicht sagen?« Das ärgerte sie ein wenig, obwohl sie wusste, wie sehr er Geheimniskrämereien liebte.
»Wart’s einfach ab!«, sagte er.
»Aber ich möchte es gern wissen! Fahren wir wieder in eine Stadt?«
»Vielleicht.«
»Du vertraust mir nicht.«
Er sah sie erstaunt an. »Warum sollte ich dir nicht trauen?«
»Sonst würdest du keine Geheimnisse vor mir haben.«
Goten seufzte. »Ich weiß noch nicht, wohin wir fahren.«
»Aber du musst doch eine ungefähre Idee haben.«
»Hab ich nicht.«
Schmollend kletterte sie nach hinten auf die Ladefläche des Karrens. Dieses kindische Frage-und-Antwort-Spiel war ihr zu dumm. Würde er eben auf ihre Gesellschaft verzichten müssen.
Doch nach einer Weile wurde sie des Beleidigtseins müde, legte ihr Buch beiseite und schob sich wieder neben ihn auf die Bank.
»Abakus ist mir unheimlich«, sagte sie.
»Das würden die meisten Leute auch von mir behaupten.«
»Du bist ganz anders als er.«
»So? Wie anders?«
»Na ja, ich weiß nicht …« Sie überlegte. »Abakus ist grausam.«
Goten verzog sein Gesicht zu einem Lächeln.
»Du hast mir noch vor gar nicht langer Zeit vorgeworfen, ich wäre grausam.«
»Aber bei dir habe ich inzwischen das Gefühl, du hast einen guten Grund dafür.«
»Gerechte Grausamkeit? Glaubst du wirklich, so etwas gibt es?«
Dea schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.« Sie zwinkerte ihm zu. »Du hast gesagt, ich bin ein Kind, schon vergessen? Ich weiß nichts über solche Dinge.«
Wieder stieß er ein tiefes Seufzen aus. »Ich bin solche Gespräche nicht gewohnt, Dea. Ich bin dir nicht gewachsen, fürchte ich.«
»Du versuchst ja nur, dich rauszureden.«
Er grinste. »In einem hast du auf jeden Fall Recht: Ich bin nicht wie Abakus.«
»Nein«, entgegnete sie nachdenklich. »Vor dir hab ich auch keine Angst.«
»Ich bin dir wohl nicht streng genug?«, erkundigte er sich mit Unschuldsmiene.
»Genau«, gab sie kess zurück. »Prügel wären angebracht.« Und damit begann sie, mit beiden Fäusten spielerisch auf seine Schulter einzuhämmern, bis er lachend die Zügel losließ und versuchte, sich ihrer Attacken zu erwehren.
Unter Lachen und Scherzen ging die Reise weiter, und Dea fragte sich mehr als einmal, was wohl all die Menschen, die Goten fürchteten wie den Teufel selbst, denken würden, hätten sie ihn so gesehen, kichernd und witzelnd wie ein kleiner Junge. Er blieb ein Rätsel, auch für sie, und je länger sie ihn kannte, desto merkwürdiger – aber auch liebenswerter – fand sie ihn.
Als es dunkel wurde, war noch immer keine Herberge vor ihnen am Wegesrand aufgetaucht. Die dunklen Wälder wirkten Furcht einflößend und menschenfeindlich. Kein Wunder, dass sie unterwegs kaum jemandem begegnet waren.
»Sieht so aus, als müssten wir unser Lager unter einem Baum aufschlagen«, meinte Goten, lenkte den Karren eine Bogenschussweite zwischen die Bäume und sprang vom Kutschbock.
Bald hatten sie die dünne Schneeschicht so gut wie möglich beiseite geschaufelt und sich aus Decken zwei Nachtlager bereitet. Ein prasselndes Lagerfeuer wärmte ihre eiskalten Hände und Füße. Sie brieten ein Kaninchen, das Goten erlegt hatte, und tranken geschmolzenen Schnee aus Lederbechern. Goten bot Dea auch einen Schluck aus einem Weinschlauch an, aus dem er an manchen Abenden einen kräftigen Zug nahm, aber sie lehnte ab. Sie mochte den Geschmack nicht und fand auch nicht, dass das Gesöff sie von innen wärmte.
Bei solchen Gelegenheiten versuchte Dea manchmal, mehr über ihre Mutter herauszubekommen, doch meist reagierte Goten unwirsch und wechselte das Thema. Heute fing sie gar nicht erst davon an, obwohl sie es sich am Nachmittag fest vorgenommen hatte; sie wollte die gemütliche Stimmung nicht zerstören, indem sie ihn mit ihren Fragen verärgerte.
Irgendwann schlief sie ein, nah genug beim Feuer, dass ihr im Schlaf nicht die Nasenspitze abfrieren würde.
Spät in der Nacht erwachte sie von Lärm und fremden Stimmen, und als sie die Augen aufschlug, sah sie, dass sie und Goten nicht mehr allein waren. Schlagartig richtete sie sich auf und wirbelte in einem Anflug von Panik ihre Decke beiseite.
Ein scharfer Stich brachte sie wieder zur Besinnung. Die Spitze eines Schwertes lag unter ihrem Kinn und ritzte die Haut ihres Halses.
»Schön sitzen bleiben«, befahl eine
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