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Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen

Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen

Titel: Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hier aus bot sich ihnen ein prächtiger Ausblick über Giebelstein und das umliegende Hügelland.
    Wogendes Grün bestimmte das Panorama. Saftige Wiesen erstreckten sich über die Hügelflanken, durchsetzt von wilden Frühlingsblumen und vereinzelten Bäumen, in deren Schatten Schafe und Kühe Schutz vor der Sonne suchten. Über allem lag das Raster der Hecken, die als Windfang und Begrenzung dienten. Es war ein idyllisches Bild, warm und sommerlich.
    Wären da nicht die finsteren Gestalten gewesen, die sich weit verteilt auf den Hügelkämmen erhoben. Schmale, knochige Silhouetten mit ausgestreckten Armen, deren zerfetzte Kleidung flatterte wie Fledermausschwingen. Und es waren mehr als ein Dutzend. Viel mehr.

»Das ist ja eine ganze Armee!«, brachte Chris mühsam hervor und schluckte.
    »Sieht so aus«, flüsterte Kyra gebannt. Sie konnte ihren Blick nicht von den Vogelscheuchen nehmen. Sie waren überall, rund um die ganze Stadt verteilt. Mindestens fünfzig. Aber wer wusste schon, wie viele noch hinter den nächsten Hügeln lauerten?
    Keine stand näher als fünfhundert, sechshundert Meter. Aber das mochte sich schnell ändern.
    »Was werden die tun, wenn sie die Stadt erreichen?«, fragte Lisa.
    »Du hast doch gesehen, was sie mit Henrietta gemacht haben«, erwiderte Nils.
    Lisa schüttelte sich bei der Erinnerung an den Schafskadaver.
    »Ich weiß nicht«, sagte Chris nachdenklich. »Was wollen sie schon tun, wenn man ihnen mit ’ner Kettensäge oder Feuer zu Leibe rückt? Trotz allem sind sie nur aus Holz.«
    »Ich wäre da nicht so sicher«, gab Kyra zurück. »Immerhin scheint auf irgendeine Weise Leben in ihnen zu sein, sonst würden sie sich nicht fortbewegen, oder? Wer weiß, was noch in ihnen steckt. Und vor allem: Wer sie befehligt!«
    »Das Arkanum!«, rief Nils wie aus der Pistole geschossen.
    Seit die Freunde die Auferstehung des Hexenmeisters Abakus vereitelt hatten, mussten sie ständig mit einem Angriff des Arkanums, des Geheimbundes der Hexen, rechnen.
    »Es könnte das Arkanum sein«, stimmte Kyra zu. »Aber solange wir das nicht genau wissen, sollten wir vorsichtig sein mit solchen Vermutungen. Sonst macht uns das blind für andere Möglichkeiten.«
    Chris versuchte noch einmal, die Scheuchen auf den Hügeln zu zählen, gab aber schließlich auf. »Glaubt ihr, auf jeder steckt so ein Totenschädel?«
    »Woher sollte denn irgendwer all die Pestskelette nehmen?«, wandte Lisa ein. »Müssten die nach so vielen Jahrhunderten nicht längst zu Staub zerfallen sein?«
    »Kommt darauf an, worin sie gelegen haben«, sagte Nils. »Wenn der Boden besonders lehmig war, wer weiß, dann hat er sie vielleicht haltbar gemacht. Zumindest die Knochen.«
    Kyra runzelte die Stirn. »Ich würde mir ja schon ganz gern so ein Ding aus der Nähe anschauen.«
    »Spinnst du?«, entgegnete Nils schockiert. »Hast du etwa Lust, auf irgendeiner Wiese gefunden zu werden wie Kropfs Schaf, mit so einem Scheuchenpfahl im Bauch?«
    Lisa räusperte sich. »Bevor Nils und ich zu Hause weggefahren sind, hab ich eine von ihnen hinten im Park des Kerkerhofs gesehen.«
    Nils warf ihr einen finsteren Blick zu. » Musstest du das unbedingt erzählen?«
    Kyras Wangen glühten vor Aufregung. Das geschah meist, wenn das Erbe ihrer toten Mutter – einer gefürchteten Hexenjägerin und Gegnerin des Arkanums – die Oberhand über ihre Entscheidungen gewann. Ihre drei Freunde hatten bereits mehrfach festgestellt, dass dies immer häufiger vorkam. Ohne dass Kyra ihre Mutter je kennen gelernt hätte, schien etwas von ihr in der Tochter weiterzuleben.
    »Wenn eine dieser Scheuchen bei euch im Park steht, ist das doch ideal!«, platzte Kyra heraus. »Wir können sie in Ruhe untersuchen. Und falls es doch ernst werden sollte, bleibt uns immer noch der Erkerhof als Fluchtmöglichkeit. Da drinnen kriegen die uns nie.«
    Nils’ Unterkiefer sackte herunter. »Tolle Idee. Ganz toll, wirklich«, murmelte er ohne jede Begeisterung.
    Chris aber kam Kyra gleich zur Hilfe. »Ich meine auch, dass wir es versuchen sollten. Wir haben den ganzen Nachmittag Zeit. Herr Fleck hat uns erst für heute Abend wieder zum Stadtarchiv bestellt.«
    Jetzt, da Chris sich Kyras Vorschlag angeschlossen hatte, konnte auch Lisa keinen Rückzieher mehr machen. »Fahren wir hin. Außerdem müssen wir sowieso unsere Eltern warnen.«
    Nils schüttelte den Kopf. »Was sollen wir denen denn sagen? Dass Giebelstein von Vogelscheuchen angegriffen wird? Dann darf ich zur

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