Sieben Stunden im April
vergessen. Zumba ist der neuste Fitness-Trend aus den USA – das alleine sollte einen ja schon stutzig machen. Laut unserer Trainerin ist Zumba aber ein Work-out. Work-out – dazu fallen mir diese lycragewandeten Sklaventreiberinnen aus muffigen Studios ein, die powackelnd durch die Gegend laufen, um anderen Menschen ihr Geld, aber keinesfalls ihr Fett abzunehmen. Die Studios riechen immer nach einer Mischung aus Parfumdeo, Schweiß, Eiweiß-Cocktails und Laminat. Die Sklaventreiberinnen und -treiber sind immer penetrant und widerlich gut gelaunt, haben gestählte Bodys – solche Menschen haben Bodys, keine Körper – und tun so, als hätten sie die Weisheit mit ihrer kohlenhydrat- , fett- und geschmacksfreien Turbo-Diät gleich mitgefressen. Ätzend. Und deren Kundinnen? Nun ja, da wäre zum Beispiel die gelangweilte Zahnarztgattin mit frisch ondulierter Lockenpracht und regelmäßigen Terminen bei ihrer Nageldesignerin, die auf dem Laufband einherschreitend die Gala liest. Deren natürliche Feindin ist die fünfzigjährige, cellulitegefährdete, rauchende, trinkende, Pommes, Pizza und Pasta liebende Bewegungslegasthenikerin mit großer Klappe. So weit das Einerseits. Andererseits ist besagte Legasthenikerin mit einem joggenden und Krafttraining schätzenden Ehemann und einem Sohn gestraft, der American Football liebt – theoretisch wie praktisch.
In meinem alten Leben hatte ich jede Menge gute Gründe für meine Sportverweigerung: viel, sehr viel, noch mehr Arbeit und der Haushalt macht sich ja schließlich auch nicht von alleine. So weit meine glaubhaften Bekundungen. So glaubhaft, dass ich die Wahrheit – ich sitze lieber rum, lese ein Buch, trinke ein Tässchen Kaffee dazu und rauche eine – nicht zwangsläufig hinausposaunen musste, um sie dann oberklugscheißerhaft sezieren zu lassen. Und um etwaigen Vorhaltungen bereits im Vorfeld das Wasser abzugraben, bin ich im alten Leben ab und an walken gegangen. Walken gegangen – das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen.
In meinem neuen Leben war ich sozusagen gezwungen, diese Tarnung aufzugeben. Vorerst keine Arbeit in Sicht, die Reinigung einer Dreizimmerwohnung ist selbst für mich kein größeres zeitliches Problem, zumal weder mein Mann noch ich es fertigbringen, uns von unserer Haushaltshilfe, einer Seele von Frau, zu verabschieden. Und das Kochen? Na ja – selbst die tägliche Zubereitung fünfgängiger französischer Menüs nimmt einen nicht so in Anspruch, dass nicht hin und wieder zumindest ein bisschen Zeit für sportliche Betätigung abfiele. Ein geraumes Weilchen konnte ich noch mit Panikattacken und Watte-Gefühl argumentieren, aber ich bemerkte selber, wie auch diese Begründungen im Laufe der Zeit an Überzeugungskraft verloren.
So kam ich in meinen Fitness-Club, der doch viele Vorteile hat. Erstens heißt er nicht »Fitness-Club«, sondern »Gesundheitszentrum«, was sich ja schon mal normaler, versöhnlicher und weniger schweißtreibend anhört. Zweitens ist er direkt gegenüber. Und drittens arbeiten da nur durchtrainierte, freundliche Mädels, die solch unglaublich nette Sachen sagen wie: »Wer nicht mehr mag, macht einfach eine Pause.« Oder: »Zwei Wiederholungen reichen auch.« Musik in meinen Ohren.
Daher mache ich dort seit einigen Wochen regelmäßig Pilates, was leichter aussieht, als es ist. Niemand, wirklich niemand sollte über Pilates lachen! Ab und zu gehe ich noch zum Herz-Kreislauf-Training, was noch viel anstrengender ist, als es sowieso schon aussieht. Und neuerdings übe ich auch noch Zumba: Das sind tanzähnliche Bewegungsabläufe zu lateinamerikanischen Rhythmen, die Salsa-, Samba-, Merengue- und andere Elemente enthalten, von denen ich noch nie gehört habe. Zumba ist schnell, rasend schnell und komplex. Das bedeutet: Die Arme machen etwas, die Beine auch und die Hüfte sowieso. Im Prinzip kein Problem. Das Problem bei Zumba ist aber: Alle Körperteile machen alles zusammen, und zwar schnell und im richtigen Takt und ohne Pause, und gleichzeitig ist noch das Kunststück zu vollbringen, stolz und sehr weiblich und mit tadelloser Haltung glücklich aus der Wäsche zu gucken.
Nach einer Stunde Zumba hilft nur noch Duschen. Und wohl dem, der einen Fahrstuhl hat. Ich zumindest käme die Treppen in unsere vierte Etage nicht mehr hoch. Aber womit ich niemals gerechnet hätte: Zumba hilft dabei, sich als Frau zu fühlen und sich auch so zu bewegen. Stolz. Sich zu bewegen wie eine stolze, schöne
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