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Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Preusker
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Margrit. Ich werde dich hocherhobenen Hauptes durch die Menge fahren. Wir beide werden jedem in die Augen blicken können. Wir haben so viel geschafft. Du und ich. Jede in ihrer Welt. Das sage ich heute in meinem neuen Leben und das hätte ich auch in meinem alten Leben gesagt. Aber ich hätte es nicht so gemeint. Gemeint hätte ich: Gott, was bin ich froh, dass ich nicht im Rollstuhl sitze! So ist das.
    Während dieses Gesprächs köchelt ein Curry auf meinem Herd. Margrit isst, was ihr Lebensgefährte zubereitet, der sie auch wäscht, ankleidet und, so sagt sie, ihre Launen erträgt.
    Unser letztes Telefonat: »Weißt du, jeder Stein, der auf dem Wegrumliegt, wird weggeräumt und für den Brückenbau verwendet. Stimmt’s?«
    Ja, Margrit, stimmt.

Intermezzo II: Die Verwandlung
    Gegen den, der mir mein altes Leben weggenommen hat, wurde ein knappes Jahr später verhandelt. Elf Monate sind nicht lang, wenn man arbeitet, Freunde trifft, ins Kino geht, das Klo putzt, sich mit dem Finanzamt herumärgert, Fernsehen schaut, Rasen mäht, Katzenstreu einkauft, zum Zahnarzt geht, den Klassenlehrer anruft und eben das tut, was man so tut. Elf ­Monate sind sehr lang, wenn man auf das wartet, was ich nun beschreiben werde. Wenn man wartet mit einer bislang nie gefühlten Mischung aus Angst, Hoffnung, Scham, Entsetzen und dem Wunsch nach Rache. Mit einer Gefühlsmischung, die es nicht geben sollte.
    Ich war Nebenklägerin. Ich war vorbereitet. Ich war unsicher. Und ich war entschlossen.
    Warum willst du dir das antun?
    Ich will ihm in die Augen sehen. Ich muss das machen. Für mich. Ich will nie denken müssen, ach, wärst du doch hingegangen. Ich will, dass die, die das Recht über ihn sprechen, mich sehen. Ich will kein Aktenzeichen sein, kein namenloses Opfer. Im Namen des Volkes!
    Es hat nicht viele Menschen gegeben, die diese Sätze verstehen konnten. Ich habe sie ausgesprochen und verstanden, geglaubt habe ich sie mir nicht. Dass diese Sätze der Beginn einer Verwandlung waren, habe ich damals nicht geahnt.
    Die Verwandlung:
    Das Gerichtsgebäude sieht aus wie immer. Es ist kalt. Es ist Ende Februar. Das Ende eines kalten, schneereichen Winters. Ich trage einen Hosenanzug, meinen Wintermantel und eine große Sonnenbrille. Wegen der Presse. Wegen der Presse? Was verdeckt diese Brille schon? Früher, in meinem alten Leben, hat mal jemand gesagt, ich sehe damit aus wie Puck, die Stubenfliege. Ich habe sehr gelacht. Diesen jemand werde ich hier wiedertreffen. Er ist als Zeuge geladen. Ich suche die Hand meines Mannes, seinen Arm. Ich war noch nie im Leben so auf Halt angewiesen. Mein Sohn. Mein Sohn ist auch da. In einem schwarzen Anzug. Ich sehe ihn immer wieder an. Handtaschenkontrolle. Absonden. Sicherheit. Ich spreche nicht, mein Mann fragt nach dem Sitzungsaal, mein Mann organisiert das Zeugenschutzzimmer. Ich bin stumm. Und ich werde es vorerst bleiben.
    Der Sitzungssaal. Nüchtern, sachlich, kühl. Nicht so, wie ich es in anderen Landgerichten gesehen habe – kein Pomp, kein Stuck, keine gedrechselten Holzabsperrungen. Irgendwie fühle ich mich dadurch erleichtert. Auf dem Gang: Pressevertreter. Wie zu erwarten. Und dann kommen sie alle – die Zuschauer, mein Rechtsanwalt, der Staatsanwalt, die Gutachter. Ein Mann, den ich nicht kenne und der an der gegenüberliegenden Tischreihe Platz nimmt. Es ist der Anwalt der Gegenseite, des Angeklagten, desjenigen, der mir mein altes Leben genommen hat.
    Der psychiatrische Sachverständige legt seine Unterlagen auf den Tisch und setzt sich. Mein Mann und mein Rechtsanwalt besprechen irgendetwas. Ich höre nicht zu. Ich denke darüber nach, wie ich früher in Gerichtssälen meine Papiere geordnet habe. Nun macht das ein anderer, ich bin damit beschäftigt, meine Gedanken und Gefühle zu ordnen. Ich bin Geschädigte, Betroffene, Opfer. Und Nebenklägerin. Ich klage an!
    Er kommt. Gefesselt an Händen und Füßen. Gebeugt. Begleitet v on jungen Polizisten. Einige bleiben neben ihm, zwei andere sichern die Fenster. Gebeugt schlurft er. Eine Jacke über dem Kopf. Blitzlichter. Fotografen. Kameras. Er trägt eine Jacke über dem Kopf. Als würde das etwas ändern. Als habe es irgendeine Bedeutung – dieses Gesicht. Er wird eher auf den Stuhl gesetzt, als dass er sich selber setzt. Weiterhin Blitzlichtgewitter. Es hört nicht auf. Ich stehe, lehne an der Fensterbank, weil ich nicht weiß, ob der Boden unter mir nachgibt. Ich stehe und der Boden trägt mich und ich halte die Hand

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