Sieben Stunden im April
kommen mir fast die Tränen, aber ich weine nicht. Mein Mann drückt meine Hand. Ich weine nicht und spreche weiter. Ein Wort fällt mir nicht ein. Wie heißt das, wenn jemand so den Arm um den Hals eines anderen legt und zudrückt? Wie nennt man das? Ich komme gerade nicht drauf. Schwitzkasten? Meinen Sie, in den Schwitzkasten nehmen? Ja. Das meine ich. Ich spreche weiter. Brauchen Sie eine Pause? Sollen wir unterbrechen? Nein. Ich möchte das hier zu Ende bringen. Ich spreche weiter, bis ich alles gesagt habe, was zu sagen ist. Die jungen Polizisten, zu seiner B ewachung abgestellt, schauen ausdruckslos. Was werden sie abends daheim berichten?
Wenige Fragen. Es ist still im Saal. Die Öffentlichkeit ist da und sie schweigt. Der Verteidiger des Mannes, der mir mein altes Leben weggenommen hat:
»Und als sich mein Mandant Ihnen sexuell genähert hat ….«
»Er hat sich mir nicht sexuell genähert. Er hat mich vergewaltigt.«
»Nun wollen wir uns doch mal nicht über Begriffe streiten, darum geht es ja nun nicht.«
»Doch, Herr Verteidiger. Genau darum geht es. Um Vergewaltigung.«
»Keine weiteren Fragen, Herr Vorsitzender.«
Irgendjemand in der Öffentlichkeit klatscht. Nur kurz, aber unüberhörbar.
Ich werde zum Richtertisch gerufen und lasse zum ersten Mal die Hand meines Mannes los. Ich sehe den Richter eine Bildmappe durchblättern. Flüchtige Blicke auf die Fotos von meiner Kleidung: Lederjacke, Jeans, zerschnittener BH. Eine Frau mit Schnittverletzungen im Gesicht. So müde, so blass, so hässlich. Eine Frau auf der Schwelle zwischen zwei Leben. Ein Messer. Sekundenkleberfläschchen. Klebeband. Mein Büro, hoffnungslos durcheinander, chaotisch. Blutspuren. Ich muss Sie das fragen: Waren diese Blutspuren schon vorher an den Schränken und auf dem Boden? Nein, Herr Vorsitzender. Das waren sie nicht. Danke. Sie können sich wieder setzen.
Es wird weiter verhandelt an diesem Nachmittag und auch in den Vormittagsstunden des Folgetages. Dann, eine halbe Woche später, das Urteil: 13 Jahre, 9 Monate, Sicherungsverwahrung. Gibt mir das Urteil Genugtuung, werde ich gefragt. Nein. Genugtuung gibt mir, dass er weggesehen hat. Aber das habe ich der Journalistin nicht gesagt.
E s ist zu Ende. Alle gehen. Akten werden geschlossen. Nur er sitzt da, gefesselt und umgeben von Polizisten. Ich bleibe. Ich will sehen, wie er abgeführt wird. Ich will ihn ein letztes Mal davonschlurfen sehen.
Er sieht mich an und ich ahne, was kommt. Er hat zweimal versucht, sich zu entschuldigen. Ich habe jedes Mal gesagt, ich werde mir diesen Mist nicht anhören. Er spricht mich an, stammelnd, wie es seine Art ist: »Frau Bergmann, ich …«
Ich halte die Hand meines Mannes. Mein Sohn steht neben uns. Groß. Seine Stimme ist tief, ganz klar, sehr deutlich, bestimmt. Kein Zittern, keine Unsicherheit spürbar. An die Polizisten gewandt: »Meine Herren, darf ich Sie bitten, dafür zu sorgen, dass dieser Verbrecher meine Mutter nicht anspricht?«
Sie bringen ihn raus, den Verbrecher.
Den Verbrecher, der über vier Jahre lang gelogen hat, wie leid ihm alles täte.
Und mein Sohn ist schlagartig erwachsen. Ich bin sehr stolz auf ihn.
Meine Entscheidung, öffentlich auszusagen, hatte Konsequenzen, deren Tragweite mir damals auf dem Gang des Landgerichts, hinter einer Schutzmauer aus Liebe versteckt, überhaupt nicht bewusst war. Wenn es anders gewesen wäre, hätte ich dann anders entschieden? Ich glaube kaum. Plötzlich war das Medieninteresse da. Und es war groß. Straftaten im Allgemeinen sind spannend, und diese ganz spezielle Mischung aus »Sex and Crime«, mit der ich aufwarten konnte, war es erst recht. Wem sollte man das vorwerfen? Journalisten machen eben ihre Arbeit. Und ich kann sagen – sie haben sie gut gemacht. Ich habe lebendige, spannende, kluge Frauen wie Birgit Fürst vom Bayerischen Rundfunk oder Petra Hollweg vom Focus kennengelernt. Ich habe einen sehr sympathischen Pressefotografen aus Berlin getroffen, der tolle Bilder macht und von dem ich vielüber Asien und Kegelvereine erfahren habe. Ich habe einigen Journalisten auch abgesagt, weil mir die Medien, die sie vertreten, nicht passten. Und weil es irgendwann einfach genug war.
Es war alles gesagt, was es aus meiner Sicht und Betroffenheit zum Thema Sicherheit an meinem ehemaligen Arbeitsplatz zu sagen gab. Oder, wie es ein ehemaliger Chef von mir vermutlich ausgedrückt hätte: Das Problem ist hinreichend beschrieben. Um die Problemlösung mögen sich nun
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