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Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Preusker
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andere kümmern. Was sie nicht tun werden, aber das ist eine andere Geschichte, die vielleicht in anderer Form zu erzählen wäre.
    Meine Entscheidung, an die Öffentlichkeit zu gehen, ist auf Kritik gestoßen. Mediengeil, vom Ehemann aufgehetzt, schmeißt mit Steinen, Berufsopferattitüde – das sind Äußerungen, die mir zu Ohren gekommen sind. Es gibt sicher noch ganz andere, aber das weiß ich nicht und das will und muss ich auch nicht wissen.
    Es reicht mir, zu wissen, dass diese Kritiken von Menschen kommen, die in ihrer jeweiligen Idylle vielleicht schon an sehr viel geringeren Problemen scheitern würden, die es bereits bei einer viel geringeren Fliehkraft aus der Kurve tragen würde.
    Opfer schämen sich, Opfer tun so, als sei alles normal und wie immer, Opfer sind der Störfaktor schlechthin, Opfer verunsichern ihr Gegenüber, Opfer machen hilflos, Opfer werden in Watte eingepackt. Und Opfer haben sich zu schämen, Opfer haben das Haupt zu senken und Opfer haben so zu tun, als sei alles normal und wie immer. Opfer haben sich gefälligst wie Opfer zu benehmen: still, unauffällig und dankbar für jedwede Form des Mitleids und der Unterstützung. Und ansonsten haben Opfer es, bitte sehr, tunlichst zu unterlassen, die Kreise der Nicht-Opfer zu stören. Wozu gibt es Psychiater, Therapeuten, Friseure oder Taxifahrer, die ein Opfer vollquatschen kann? Ein Opfer hat irgendwann abzutauchen. Und wenn es dabei­absäuft – tja … Die schöne, exakte deutsche Sprache: Man fällt einem Verbrechen zum Opfer. Man fällt, um Opfer zu werden. Man stürzt ins Bodenlose. Das stimmt. Umso wichtiger wird es, wieder aufzustehen. Und zwar erhobenen Hauptes. Verwandelt.
    Denn irgendwann verändert sich der Ausdruck in den Augen der Nicht-Opfer. Aus Mitleid und Betroffenheit wird ein erleichtertes »Gut, dass mir das nicht passiert ist«. Gepaart mit dem Versuch, sich diese Haltung nicht anmerken zu lassen. Ich weiß nicht, was schwerer zu ertragen ist.
    Infolge eines Interviews, das ich dem Focus gegeben habe, hat mich eine Frau kontaktiert, die auch einem sehr schlimmen Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Sie bat mich um Unterstützung in der Frage, ob es richtig sei, die Öffentlichkeit zu suchen. Ob ich es bereut hätte.
    Meine Antwort, nur geringfügig abgeändert, um die Anonymität der Betreffenden nicht zu gefährden:
    Ihre Zeilen haben mich sehr nachdenklich gemacht und ich möchte versuchen, Ihre Fragen, die ich keineswegs als bedrängend empfinde, so ehrlich wie möglich zu beantworten.
    Nein, den Schritt, an die Öffentlichkeit zu gehen, habe ich nicht bereut. Und ich bin in meinem direkten persönlichen und sozialen Umfeld dafür eigentlich nur gelobt und unterstützt worden. Kritik gab es keine.
    In Bezug auf meine dienstlichen Kontakte sieht die Sache anders aus – natürlich gelte ich dort teilweise als »Nestbeschmutzerin«, die ihre Kollegen ohne Rücksicht auf Verluste »in die Pfanne haut«, um es mal umgangssprachlich auszudrücken. Die Schonfrist ist vorbei, infolge meiner Schritte an die Öffentlichkeit gelte ich nun als persona non grata.
    Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, bezieht sich Ihre ­Frage e her auf den privaten Bereich und wie gesagt: Dort habe ich nur Unterstützung erfahren.
    Allerdings kann ich nicht unerwähnt lassen, dass mein Mann Jurist und selber beruflich mit Sicherheitsfragen im Strafvollzug befasst ist. Er kennt sich aus mit den Medien, behördlichen Strukturen und all den Dingen, die in meiner Situation so wichtig waren und sind. Und er hat mich vor Jahren als »Powerfrau« kennengelernt – immer am Arbeiten, immer aktiv, immer – Zitat – »eine große Klappe«. Nach dem April ´09 war diese Power weg, es gab ein weinendes, hilfloses, zutiefst verängstigtes Opfer. Es gab eine Frau, die nicht in engen Räumen sein konnte, die Angst hatte vor Menschen, außerstande, alltägliche Aufgaben zu verrichten. Eine Frau, die mit Panikattacken zu kämpfen hatte. Und meinem Mann war viel früher als mir klar, dass ich so nicht bin und so nicht den Rest meines Lebens verbringen kann.
    Ich habe darunter gelitten, die stummen Fragen in den Augen meiner Mitmenschen zu spüren, ich habe darunter gelitten, als »Opfer« angesehen und behandelt zu werden, so behutsam, so vorsichtig, so bemüht. Ich hatte den Eindruck geduckt durch mein eigenes Leben gehen zu müssen. Und so entstand über Wochen und Monate der Entschluss, möglichst offensiv mit der Katastrophe umzugehen und zu sagen:

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