Sieben Stunden im April
»Ja – so war es. Ja – das ist mir passiert.« Ich hatte aber auch nichts mehr zu verlieren. Schlimmer als im Sommer 2009 konnte es nicht mehr kommen – das wusste ich. Für mich war immens wichtig, wieder Kontrolle über die Dinge zu bekommen und mich nicht länger durch kriminelles Handeln und Demütigung kontrollieren, gängeln zu lassen.
Und mit dem Prozess, mit dem Schritt an die Öffentlichkeit ist bei mir tatsächlich die Gesundung vorangeschritten. Es fühlte sich so an, als sei ein Knoten geplatzt. Ich will keinesfalls behaupten, dass ich gesund oder die Alte, die mit der »großen Klappe«, b in, aber es geht mir seit diesen Aktionen psychisch wesentlich besser. Ich fühle mich stabiler, auf dem Weg, wieder selbst Chefin in diesem Haus, das mein Leben ist, zu werden. Aber wie gesagt – diese Entwicklung ist sehr eng mit meiner Persönlichkeit und meiner privaten Situation verbunden. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, über allgemeingültige Rezepte zu verfügen.
Vielleicht noch ein paar Worte zum Umgang mit den Medien: Wir haben bei jedem Kontakt sehr gut überlegt, ob er infrage kommt. Standardsatz meines Mannes war: »Es muss sich für dich gut und richtig anfühlen.« Daraus folgte, dass ich Printmedien oder Fernsehsender, die mir nicht passten, konsequent abgelehnt habe. Auch habe ich sichergestellt, dass meine Adresse oder Telefonnummer nie herausgegeben wird, um unerwünschte Kontakte auszuschließen. Ich wollte keinen RTL-Reporter mit Teleobjektiv in meinem Garten sitzen haben. Das alles hat sehr gut geklappt. Überhaupt habe ich alle Medienmitarbeiter, egal ob Fernsehen, Rundfunk oder Presse, als freundlich, vertrauenswürdig und grenzwahrend erlebt. Und noch eins: Ich habe mir jedes Interview, jeden Text, jedes Bild zunächst vorlegen lassen, um sichergehen zu können, dass nichts publiziert wird, womit ich nicht einverstanden bin.
Natürlich hat es auch Schattenseiten, wenn man sein Innerstes derart nach außen trägt – man wird zur öffentlichen Person und damit verwundbar. Und man bedient sicherlich voyeuristische Interessen. Für mich galt jedoch: Die Menschen denken und reden sowieso, was sie wollen. Und wenn sie das schon tun, sollen sie meine Geschichte, meine Wahrheit, meine Schmerzen und meinen Kummer mitdenken müssen. Oder, um nochmals meinen Mann zu zitieren: »Lieber stehend sterben als kniend leben.«
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Die fehlende Möglichkeit, den Menschen, den man liebt, vor dem Bösen zu bewahren – das hat meinem Mann am meisten zuge s etzt. Für uns folgte daraus, dass mein Mann immer bei mir war, zunächst bei der Verhandlung, dann bei fast allen Gesprächen mit den Medien. Das hat mir Sicherheit gegeben und ihm das Gefühl, jederzeit intervenieren zu können, falls sich der Eindruck eines unguten Gesprächsverlaufs ergeben hätte. Und wir sind immer im Dialog geblieben, wir haben gestritten und gezankt und diskutiert und stets aufs Neue überlegt, was richtig ist. Für mich, aber auch für uns beide als Ehepaar. Das war teilweise unglaublich anstrengend und kräftezehrend, aber die Mühe hat sich gelohnt.
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Wie gesagt – allgemeingültige Regeln habe ich nicht und wahrscheinlich gibt es auch keine …
So weit mein Schreiben an eine mir unbekannte Frau irgendwo in der Bundesrepublik, das sich jetzt beinahe so liest, als seien ein Radiointerview oder ein Aufritt im Frühstücksfernsehen besser als jede Therapie. Natürlich war und ist es nicht so gemeint. Hätte mich jemand nach meiner psychiatrischen Behandlung gefragt, was bisher nicht passiert ist, hätte ich eben darüber gesprochen oder geschrieben. Eine Antwort habe ich nie erhalten von der Unbekannten, irgendwo in der Bundesrepublik.
Im Frühstücksfernsehen war ich übrigens nie und trage mich auch nicht mit dem Gedanken, dieses Versäumnis nachzuholen. Dr. Lange, mein Psychiater, würde das bestimmt auch nicht gutheißen, nehme ich an.
Dr. Lange macht müde
Es hat durchaus etwas für sich, einen befreundeten Psychiater oder eine befreundete Psychiaterin aufzusuchen, sich in einen Ledersessel zu schmeißen und über Patienten abzulästern. Das machen Psychiater genauso wie Psychologen, Hautärzte, Urologen und Allgemeinmediziner. Und Gynäkologen auch. Wahrscheinlich die ganz besonders. Und wer etwas anderes behauptet, lügt. Wie gesagt: Ledersessel, Tasse Kaffee in der Hand und dann erzählen: Patienten, Kollegen, Reisepläne oder was sonst so anliegt. Das habe ich oft gemacht, weil ich viele Psychiater
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