Sieben Tage: Thriller (German Edition)
Zigarette zwischen den Lippen hatten losgelegt, und Griessel sowie der schnauzbärtige Rhythmusgitarrist Jakes Jacobs hatten zugehört und dann eingesetzt, mit ordentlich Wumms dahinter. Alexa hatte nach dem Mikrofon gegriffen und ihnen den Rücken zugedreht.
Und dann gesungen.
Irgendwie hatte er ja wider besseres Wissen die zarte Hoffnung gehegt, sie würde vielleicht überlegen, gemeinsam mit ihnen aufzutreten. Nicht als festes Bandmitglied, nur ab und zu. Bei besonderen Gelegenheiten. Doch als sie an jenem Abend die ersten Strophen sang, wusste er, dass sie nicht in ihrer Liga spielte.
Sie stand zum ersten Mal nach Jahren am Mikrofon, aber alles war sofort wieder da, unmittelbar und überwältigend: die Emotionen, die Intonation, dieses Gefühl für die Musik, für sie, für Vinces Tempo und Rhythmus. Diese starke, volle Stimme, dieses Charisma, dieser Zauber!
Allein durch ihre Stimme klang die Band plötzlich richtig gut. Alexa hob das Niveau auf ganzer Linie.
Als sie geendet hatte, applaudierten sie ihr, doch sie wehrte ab: »Ach, lasst doch.« Dann fragte sie, ein wenig verlegen wegen ihrer kaum verhohlenen Sehnsucht: »›She’s Love Crazy‹, von Tampa Red?«
Vince hatte begeistert genickt und angefangen zu spielen.
Und Alexa hatte gesungen.
Fast eine Stunde lang, ein Stück nach dem anderen. Griessel sah das Leuchten in ihren Augen, die Metamorphose. Das Gefühl, zu Hause zu sein, ihre Sehnsucht nach einem Publikum, das Verlangen nach dem richtigen Applaus – tosender Beifall war die Nahrung für ihr Talent, eine Nahrung, die ihr auf der Bühne zuströmte.
Und dennoch hatte dieselbe Frau gestern Abend zu ihm gesagt: »Die haben mich durchschaut.«
Wie kam sie nur darauf? Hatte sie denn keine Ahnung, wie gut sie war?
Wie sollte er mit ihrem Komplex umgehen, wo er sie so gar nicht verstand? Was sollte er ihr sagen?
Seine zweite Sorge war, dass er nicht den ganzen Tag bei ihr bleiben konnte. Er würde ihre Vertrauensperson bei den Anonymen Alkoholikern anrufen müssen, Mevrou Ellis, die Schulleiterin. Denn er musste Gas geben, er musste sich konzentrieren, er musste seine Gedanken auf das richten, was er in Sloets Wohnung gesehen hatte. Kurz bevor er am Auto für die Schlüssel unterschrieben hatte, hatte er Tommy gefragt: »Wen hast du in Verdacht?« Und Nxesi hatte geantwortet: »Den Hausmeister. Faruk Klein. Er hatte die Gelegenheit und einen Generalschlüssel. Er hat immer Werkzeuge dabei, und vielleicht hat er eines davon als Stichwaffe benutzt. Wir haben seine Fingerabdrücke in der Wohnung gefunden, und er wusste, wie leicht es war, in ihr Stockwerk zu gelangen. Ihm hätte sie geöffnet. Er hält sich für einen attraktiven Typen und hat vielleicht geglaubt, er könne es mal bei der Frau mit den großen …« Nxesi deutete mit einer Handbewegung an, was er meinte, zu prüde, um den Busen beim Namen zu nennen, und fügte hastig hinzu: »Er ist einschlägig vorbestraft, Kaptein, wegen häuslicher Gewalt. Dafür hat er vor neun Jahren eine Bewährungsstrafe erhalten. Ich hatte ihn also richtig auf dem Kieker. Er hat ein Alibi – seine neue Frau und ihre beiden halbwüchsigen Töchter haben ausgesagt, er sei den ganzen Abend bei ihnen zu Hause gewesen. Und ich glaube ihnen, sie machen einen anständigen Eindruck.«
»Und sonst kommt niemand in Frage?«
»Ich hatte lange ihren Ex in Verdacht. Diesen Roch. Aber es hat einfach nicht gepasst, und außerdem war er zur Tatzeit im Ausland. Nein, sonst bin ich auf niemanden gestoßen, Kaptein, und ich habe wirklich jeden überprüft. Das meinte ich, als ich vorhin sagte, es müsse etwas geben, wovon wir nichts wissen. Eine Zufallsbegegnung, ein aus dem Ruder gelaufener Streit.«
Griessel teilte seine Meinung nicht ganz. Dafür gab es zu viele Ungereimtheiten. Das völlige Fehlen von Verteidigungswunden. Das Muster der Blutspuren. Und die dritte Schublade in der Küche.
Wenn sie direkt hinter der Tür erstochen worden wäre und ihre Hände Schnitt- oder Quetschwunden aufgewiesen hätten, hätte er sich der Theorie eines spontanen Streits angeschlossen. Doch sie war eine erfahrene, kluge Anwältin. Einen Besucher, der abends um zehn bei ihr klingelte, hätte sie vorher durch den Spion gemustert und nur geöffnet, wenn sie ihn kannte. Sie hätte Kette und Schloss nur gelöst, wenn sie dem Besucher vertraute.
Sie war von vorn erstochen worden. Sie hatte dem Mörder von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden. Mitten in ihrem Wohnzimmer, drei Meter
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