Sieben Tage: Thriller (German Edition)
sich selbstständig machen. Sie wollte zu den Playern, den Dealmakern gehören. Er hatte es Alexa gestern Abend nicht sagen wollen, aber der brennende Ehrgeiz der Hanneke Sloet hatteim Grunde genommen für niemanden ein Risiko bedeutet, wenn man es sich recht überlegte. Silberstein Lamarque hätte sie höchstens hinauskomplimentiert, aber wahrscheinlich wäre sogar das Gegenteil geschehen.
Was ihn wieder zurück zu Cupidos Frage brachte: »Was hat Hanneke Sloet gehabt?«
Dadurch veränderte sich die ganze Perspektive, denn bisher war eher die Frage gewesen: Was hat sie getan?
Damit ergab sich zum ersten Mal ein Sinn. Hanneke Sloet war kein Zufallsopfer gewesen. Der Täter hatte einen Grund gehabt, bei ihr zu Hause aufzutauchen, ein Motiv, eine große Stichwaffe mitzubringen. Ein konkretes Motiv: Raub. Doch es ging ihm nicht um das Übliche – Handy und Computer –, sondern um etwas ganz Bestimmtes, das sich in ihrem Besitz befand. Etwas, das für irgendjemanden von großem Wert war. Jemanden, den sie gekannt und den sie reingelassen hatte. Jemanden, mit dem sie womöglich verhandeln wollte.
Die Gründe und Fakten verbargen sich irgendwo in Hanneke Sloets Disposition und Herkunft sowie der Gelegenheit. Deswegen war er heute Morgen instinktiv zu Roch zurückgekehrt, um ihm weitere Fragen über seine Ex zu stellen, und deswegen stand heute Nachmittag das Gespräch mit den beiden engen Freundinnen sowie mit allen Kolleginnen und Kollegen auf dem Plan, die mit ihr zusammen an der großen Transaktion gearbeitet hatten.
35
Um zehn nach eins klopfte er an die Bürotür von Professor Phil Pagel in der medizinischen Fakultät der Universität Stellenbosch, die unmittelbar neben dem Tygerberg-Hospital lag.
»Herein!«, rief eine wohltönende Stimme.
Professor Pagel mit seinem länglichen Aristokratengesicht saß am Schreibtisch, wie gewöhnlich auffallend modisch gekleidet. Er war sonnengebräunt und sehr fit für seine knapp sechzig Jahre.
»Nikita!«, begrüßte ihn der Rechtsmediziner, als freue er sich aufrichtig, ihn zu sehen. Pagel nannte Griessel schon seit dreizehn Jahren »Nikita«, weil er ihn damals, als sie sich kennenlernten, an den jungen Chruschtschow erinnert hatte.
»Tag, Prof.«
»Komm, setz dich doch. Und, wie ist der Abend mit der Prominenz verlaufen?«
Griessel hatte bereits vergessen, dass er Pagel wegen der Cocktailparty um Rat gefragt hatte. »O je«, sagte er, »nicht besonders.«
»Was ist passiert?«
Griessel erzählte ihm alles, er ließ nichts aus.
Pagel warf den großen Kopf in den Nacken und lachte. Bennie, der vor Scham glühte, konnte nur zaghaft lächeln. Für einen Außenstehenden war es sicher witzig.
Nachdem sich Pagel beruhigt hatte, sagte er: »Weißt du was, Nikita? Ich erzähle dir jetzt mal von meiner allerschlimmsten Blamage. Kennst du Luciano Pavarotti?«
»Den dicken Sänger? Mit dem Taschentuch?«
»Genau, und meiner Meinung nach der beste Sänger aller Zeiten. Eine phänomenale Stimme! Nicht in den späteren Jahren, als er die populäreren Werke gesungen hat, sondern in seiner Blütezeit. Diese perfekte Tonlage! Diese Mühelosigkeit!Unglaublich. Ich war nicht nur ein Fan, ich lag ihm zu Füßen. Ich besaß jede Aufnahme, hörte sie mir wieder und wieder an und träumte davon, ihn einmal im Leben live zu sehen. 1987 gab er dann zusammen mit Joan Sutherland ein Konzert in der New Yorker Met. Sutherland, Nikita! La Stupenda! Die größte aller Sopranistinnen. Und mein guter Freund und Kollege James Cabot vom John Hopkins ließ mich wissen, er habe nicht nur Karten, sondern auch Backstage-Pässe. Ich könne Pavarotti persönlich treffen. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich hatte zum ersten Mal im Leben die Zeit und das Geld, und wir flogen nach New York. Das Konzert war überwältigend, unbeschreiblich. Das Quartett aus Rigoletto , phantastisch, ich werde es mein Lebtag nicht vergessen. Wie dem auch sei, hinterher gingen wir hinter die Bühne. Dazu muss ich sagen, dass ich schon Wochen vorher an meinem Opern-Italienisch gefeilt hatte, um meine Bewunderung für Pavarotti in seiner Muttersprache auszudrücken. Ich wollte zu ihm sagen: Lei è magnifico. Sono un grande fan. › Sie sind wunderbar, ich bin ein großer Fan.‹ Doch im entscheidenden Moment war ich wie vor den Kopf geschlagen, genau wie du angesichts deiner Lize Beekman. Da stand dieser Superstar leibhaftig vor mir und überwältigte mich vollkommen, so dass ich zu dem Mann, den ich so sehr bewunderte, sagte:
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