Sieben
jenen Umfang und jene Gestalt angenommen hatte, die man als ›Tenakh‹ (oder ›Tanach‹) oder – mit
geringen Modifikationen – als »Altes Testament« kennt. Zu den während der Hochblüte des hellenistischen Judentums ins Griechische
übertragenen fünf Büchern Moses (= Pentateuch) fügten sich dann nach und nach jene historischen, poetischen sowie vor allem
prophetischen Schriften, deren Verfasser vom »siebenfachen Niesen« (2. Buch Könige, 4.35) über das »siebenfache Bad« (2. Buch Könige 5.10) bis zu den »sieben Säulen der Weisheit« (Sprüche Salomos, 9.1) genauso häufig auf die Mystik der Sieben
vertrauten wie Moses – allen voran der Prophet Yehoshua (Joshua), dessen Schilderung vom Fall der Stadt Jericho einen der
bekanntesten Siebenbezüge der Bibel liefert:
Und sieben Priester sollen sieben Widderhörner vor der Lade hertragen. Aber am siebten Tag sollt ihr sieben Mal um die Stadt
herumziehen, und die Priester sollen dabei in die Hörner stoßen.
Als folgenreicher sollte sich indes folgende Prophezeiung erweisen:
Und ein Erlöser wird kommen für Zion
(Jesaja 59.20). Sie sollte sich nur wenige Jahrzehnte nach der abschließenden Kanonisierung der Bibel zwischen Bethlehem und
dem See Genezareth erfüllen, ohne dass dies den Zeitgenossen so recht bewusst geworden wäre. Allein was die Handvoll Apostelüber jenen leibhaftigen Messias berichteten, entfaltete eine derart nachhaltige Wirkung, dass die neue Religion namens »Christentum«
unter Mithilfe der weltlichen Herrscher binnen 600 Jahren sämtlichen »heidnischen« Kulten in Europa den Garaus bereitete – angefangen bei den römischen Ceres(Demeter)/Serapis-Mysterien
über den Kybele/Attis-Kult bis hin zum Mithras-Kult, der dem Christentum nicht nur die Festlegung von Christi Geburt auf den
25. Dezember bescherte (am 25. Dezember wurde bis dahin nicht nur das Fest der Wintersonnwende, sondernzugleich Mithras’ Geburtstag gefeiert) – und mit sieben Weihestufen (vom »Corax« zum »Pater«) einen weiteren Siebenbezug im
Bewusstsein der »heidnischen« Bevölkerung verankert hatte.
Ausgerechnet unter den kriegserfahrenen Nachfolgern (= Diadochen) des 323 vor Christus in Babylon einer Arzneimittelvergiftung
erlegenen Alexander des Großen erlebte das Judentum ein Hoch, das sich indes paradoxerweise vor allem für das spätere Christentum
als essenziell erweisen sollte. Obgleich Judäa unter besagten Diadochen relativ autonom blieb, hatte sich ein Großteil der
jüdischen Bürger- und Geisteselite ins nordägyptische Alexandria abgesetzt, wo es in der Folge zu einem regen Austausch mit
dem Hellenismus kam. Zwar hatte der griechische Polytheismus bei jüdischen Bürgern und Schriftgelehrten nicht den Funken einer
Chance, dafür umso mehr die griechische Philosophie, Kultur und Sprache. So war es nur folgerichtig, dass sich just im dritten
vorchristlichen Jahrhundert, da sich der Leuchtturm von Alexandria als letztes Bauwerk unter die sieben Weltwunder der Antike
einreihte, jüdische Schriftgelehrte daranmachten, die ›Thora‹ aus dem Hebräischen ins Griechische zu übersetzen. ›Genesis‹,
›Exodos‹, ›Leuitikon‹, ›Arithmoi‹ und ›Deuteronomion‹ hießen die fünf Bücher Mose fortan in der Übersetzung, deren Gesamttitel
›Kata tous Hebdomäkonta‹ (Nach den Siebzig) sich nicht nur auf die Zahl der an dieser Übersetzung beteiligten 72 Schriftgelehrten sowie auf jene siebzig Ältesten bezog, die Moses zum Berg Sinai begleiteten, sondern auch einen weiteren
Siebenbezug der Bibel einführte, der sich in der späteren lateinischen Übersetzung als »Septuaginta« (= Siebzig) manifestierte.
Dabei entfaltet die Sieben in den Texten des Neuen Testaments nicht annähernd jene Mystik wie im Alten Testament – selbst
wenn Jesus unter ihrer magischen Mitwirkung eines seiner bekanntesten Wunder vollbringt (Die Speisung der Viertausend; Matthäus
15.36 f.):
Und er nahm die sieben Brote und die Fische, dankte und brach und gab sie seinen
Jüngern, die Jünger aber [gaben sie] den Volksmengen. Und sie aßen alle und wurden gesättigt; und sie hoben auf, was an Brocken
übrigblieb, sieben Körbe voll.
Relief zu Taq-e Bostan: Investitur Ardaschirs II. mit der Darstellung Mithras hinter Ahura Mazdas und vor dem sassanidischen
Großkönig
Ähnliches gilt für die Austreibung jener »sieben Dämonen«, die Maria Magdalena befallen hatten (Markus 16.9; Lukas 8.2),
Weitere Kostenlose Bücher