Sieben
Rhodos und der Leuchtturm von Alexandria (Martin Heemskerck, 16. Jh.)
Riskieren wir also einen zweiten Blick und beginnen bei der Arithmetik. Warum etwa zählen die drei Gizeh-Pyramiden (Cheops,
Chephren, Mykerinos) gemeinsam ebenso als ein Weltwunder wie der vergleichsweise mickrige Leuchtturm vor Alexandria, auf dessen
historische Existenz überdies nicht mehr hindeutet als eine vage zeitgenössische Münzprägung sowie einige bis heute nicht
zuordenbare Steinbrocken auf dem Meeresgrund?
Auch nach beweiskräftigen Überresten des »Koloss von Rhodos« suchte man bisher vergeblich. Hier dienen als historische Quellen
ausschließlich die Jubelberichte jener altgriechischen Historiker (allen voran Herodot), die sich an anderer Stelle nicht
minder schwärmerisch über die»Hängenden Gärten der Semiramis« ergehen, obwohl auch auf die Existenz dieses Weltwunders kein einziger archäologischer Fund
hindeutet. Bleiben allenfalls vier einwandfrei belegte Weltwunder – oder sechs, so man die Gizeh-Pyramiden einzeln zählt.
Dass die Auswahl besagter »sieben Weltwunder« ohnehin durch höchst subjektive Kriterien beschränkt war, zeigt die Liste jener
anderen, nicht weniger wunderbaren Bauwerke, die nicht den Hauch einer Chance hatten, sich in dieser illustren Reihe zu behaupten,
darunter etwa die Tempel der Akropolis, das Kuppelwunder des römischen Pantheon, das Kolosseum oder der noch kolossalere Palast
von Knossos mit seinen rund 22 000 Quadratmetern überbauter Grundfläche.
Wie schon erwähnt, wirkte der US-amerikanische Schauspieler Brad Pitt in seiner Karriere bereits zwei Mal in Filmen mit, die
die Sieben im Titel tragen. Im einen Fall fahndet Pitt als polizeilicher Ermittler nach einem Psychopathen (dargestellt von
Oscar-Preisträger Kevin Spacey), der seine Morde an den »sieben Todsünden« ausrichtet. Im zweiten Film schlüpft Pitt in die
Rolle des Bergpioniers Heinrich Harrer (unter anderem bekannt durch die Erstdurchsteigung der Eiger-Nordwand). ›Sieben Jahre
in Tibet‹ lautet der Titel des Films und des zugrunde liegenden Harrer-Buches. Geschildert werden darin die Umstände, die
Harrer während des Zweiten Weltkrieges nach Tibet brachten und zum väterlichen Freund des Dalai-Lama werden ließen. Die Chronologie:
Im Spätsommer 1939 werden Harrer und sein Expeditionsteam nach dem fehlgeschlagenen Versuch einer Erstbesteigung des 8125 m hohen Nanga Parbat vom Ausbruch des Kriegs überrascht. Das Team landet in einem britischen Internierungslager. Am 29. April 1944 gelingt Harrer und dem Expeditionsleiter Aufschnaiter die Flucht. Über fünfzig Himalaya-Pässe führt der Weg nach
Tibet, am 15. Januar 1946 ist die Hauptstadt Lhasa erreicht. Harrer freundet sich mit dem jugendlichen Dalai-Lama an, wird dessen Lehrer
und Mentor. Doch der chinesischtibetische Konflikt zwingt Harrer 1950 / 51 erneut zur Flucht. Sieben Jahre Tibet? Es mögen wohl allenfalls fünf Jahre gewesen sein. Doch wen hätte diese Ungenauigkeit
je gestört, gehört doch das Auf- oder Abrunden historischer Zeitspannen zugunsten griffiger »Siebentage«-, »Siebenwochen«-
oder »Siebenjahres«-Ereignisse samt mitgeliefertem Heroisierungs-Effekt längst zur Geschichtsschreibung.
Beispiel: Siebenjähriger Krieg: begonnen am 29. August 1756 per Invasion der preußischen Armee in Sachsen, beendet durch den »Frieden von Hubertusburg« am 15. Februar 1763. Dauer: sechs Jahre und fünfeinhalb Monate. Auch die gerne als »Siebenwochenkrieg« bezeichnete Auseinandersetzung zwischen
Preußen, Sachsen und Österreich im Jahre 1866 endete in Wahrheit nach nicht einmal fünf Wochen, Ähnliches gilt für den am
23. Januar 1919 begonnenen »Siebentage«-Krieg zwischen Tschechen und Polen, welcher tatsächlich erst am neunten Tag zu Ende ging.
Dass umgekehrt der israelische Sechstagekrieg vom 5. bis 10. Juni 1967 im Internet immer öfter auch als »Siebentagekrieg« gehandelt wird, ist indes wohl derselben Magie zuzuschreiben,
die auch den »sechsten Sinn« zunehmend zugunsten des (nicht existenten) »siebten Sinnes« negiert.
Dass die Magie der Sieben die Chronisten aller Epochen auch sonst ein ums andere Mal dazu verführte, die historische Wahrheit
zu »versiebenbildlichen«, zeigt das Beispiel der »sieben Weisen«. Gemeint sind hier weniger jene babylonischen, indischen,
chinesischen, zoroastrischen oder islamischen Pendants, die allesamt dem
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