Sieben
südlich des Äquators
dieselben sieben »wandeln den « Himmelskörper beobachten kann wie in Europa oder in Kleinasien und wo der Mond im selben (scheinbaren) Siebentage-Rhythmus
seine Gestalt signifikant ändert. Warum also sollte sich nicht auch hier irgendwann eine vergleichbare Siebenmystik gebildet
haben wie weiland in Mesopotamien? Und dennoch legt der (wenngleich minderheitliche) christliche und islamische Anteil an
der Dogon-Bevölkerung eher die Vermutung einer synkretistischen Vermischung unterschiedlicher Mythen nahe. Ähnlich scheint
es sich bei den benachbarten Fon zu verhalten, deren Ursprungsmythos nur auf den ersten Blick dem der australischen Aborigines
ähnelt:
Am Anfang der Welt war nur die Schlange erschaffen. Als sie nur stehendes Wasser vorfand, zog sie zuerst Bahnen für die Flüsse.
Bevor sich auch hier – in aller Anmut – ein uns wohlbekanntes biblisches Element hinzugesellt:
Dann trug sie den Schöpfer im Maul überallhin. Als der Schöpfer mit der Erschaffung der Erde fertig war,
bemerkte er, dass es für die Erde zu viele Berge, Bäume und große Tiere gab.
Auch in den Ursprungsmythos der kongolesischen Ohendo mischen sich nach dem archaischen Einstieg alttestamentarische Erzählelemente:
Die Urmenschen lebten im hell erleuchteten Innern der Erde als noch vollkommene Wesen. Eines Tages begannen sie, nach der
Herkunft des Lichts zu suchen, bis sie endlich drei Gänge fanden. Als die ersten Menschen an der Oberfläche erschienen waren,
kam mit ihnen Unordnung über die Erde, es setzte ein neun Tage und Nächte dauernder Regen ein und eine gewaltige Sintflut
überschwemmte alles Land.
Ein illustres Beispiel dafür, wie sich archaische Mythen durch beharrliche Missionsarbeit wandeln können, liefert der bereits erwähnte Ursprungsmythos der Inkas. Getreu der verbreiteten indigenen Vorstellung von einer »Allbeseelung« des Kosmos entwickeln hier sogar die Berggipfel ein sinnliches Eigenleben:
In ferner Zeit umhüllten undurchsichtige Dämpfe die Erde. Da erschien die Sonne, fuhr zur Erde hinab und verjagte alle Nebelschwaden.
Plötzlich erstrahlte der Gipfel des Ikkimani in seiner ganzen Pracht. Auch Mururata erwachte zum Leben. Erstmals sah er nun
Huayna Potosí, die Königin der Anden, in ihrer ganzen Schönheit und verliebte sich auf der Stelle in sie.
Liebe und Eifersucht lassen die »männlichen« Andengipfel in diesem heißen Ursprungsdrama übereinander herfallen: ein blutiger
Kampf, bei dem Rauch und Feuer entstehen – und später, als aus Trauer und Scham Tränen fließen, Flüsse, Seen und alles weitere
Leben.
Wenige hundert Jahre später liest sich derselbe Ursprungsmythos bei den peruanischen Quetchúa, einer Nachfolge-Kultur der Inkas, wie folgt:
In der Stunde der Bestrafung, als die Flüsse zu steigen begannen, ließ unser Vater drei Berge anwachsen. Auf den Sumaco retteten
sich Tapir, Condor und Puma. Auf den Chota flüchteten der Hirsch und die Schutzengel, auf den Cola Urcu schließlich retteten
sich die Menschen.
Den Rest kann man in der Genesis des Alten Testaments nachlesen. Dennoch ist besonders bei den süd- und mittelamerikanischen
Mythen aus vorkolonialer Zeit Vorsicht angesagt. Waren es doch in der Regel die Zerstörer dieser Kulturen – respektive deren
missionarische Nachfolger –, denen wir die Aufzeichnung der jeweils vorgefundenen – heißt: mündlich erzählten – Mythen verdanken. Wer vermag etwa nach
rund 500 Jahren noch zu sagen, ob jene Geschichten, wie sie der Frater Ramon Pané im Auftrag seines Admirals Christoph Kolumbus niederschrieb
und die er selber als »Teufelswerk« bezeichnete, hundertprozentig das wiedergaben, was ihm die Ureinwohner erzählten:
Nach dem Glauben der Taino hielten sich die Menschen ursprünglich in Höhlen auf, die von einem Wesen namens Mácocael bewacht
wurden. Eines Tages schlief Mácocael ein und wurde zur Strafe von der Sonne versengt. So kamen die Menschen an die Oberfläche
und alles Leben begann.
Zwar entspricht das Bild eines »Auftauchens« der Urmenschen aus der Erde einer vor allem in wüstennahen Regionen verbreiteten
archaischen Vorstellung, dennoch scheint zumindest bei jenem aztekischen Ursprungsmythos Skepsis angezeigt, dem zufolge die
Menschen ursprünglich aus akkurat »sieben Höhlen« kamen. Denn auch diese Geschichte kennen wir nicht etwa aus Originalinschriften,
sondern lediglich aus den Aufzeichnungen jener Missionare, deren Landsleute
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