Sieben
Sie rief die Frösche, und als diese hervorkamen, kitzelte
die Regenbogenschlange ihre Bäuche, die voll Wasser waren. Die Frösche lachten, und das Wasser aus ihren Bäuchen breitete
sich in den Spuren der Regenbogenschlange über das ganze Land aus. Seen und Flüsse entstanden, und nach und nach erwachten
nun auch alle anderen Tiere.
Und wieder: kein Zischen, kein Brodeln, kein Urknall! Auch von einem Schöpfergott ist nur selten die Rede. Wie diese Beispiele
zeigen, gehen archaische Weltentstehungsmythen in aller Regel von etwas Vorhandenem aus: einem (oder zwei) Urwesen, einem
Urozean, der Erde oder Fruchtbarkeitssymbolen wie dem Ei oder der Muschel. In der Regel folgt dem ersten Erwachen die Trennung
von Himmel und Erde, von Wasser und Land, folgt die Entstehung der Sonne, des Mondes und schließlich allen Lebens auf der
Erde.
Zugrunde liegt den jeweiligen Mythen das unmittelbare Erleben der Umwelt. Dies gilt für die mikronesischen Nauru, wo man folgerichtig
von einem Entstehen allen Seins in ozeanischen Tiefen ausgeht, ebenso wie für die nordamerikanischen Navájos, wo man etwa
zum Schutz gegen die erbarmungslose Wüstensonne Arizonas in erdnahen Behausungen lebte und wo man sich – ähnlich den Aborigines
und den voraztekischen Urvölkern Mexikos – die Ursprünge allen Lebens als ein schrittweises Auftauchen aus kühlen Unterwelten
vorstellte.
Aus den Knochen und Sedimenten, die man in der Erde oder im Meeresboden fand, schloss man zu Recht auf dieRiesenhaftigkeit vormenschlicher Erdbewohner. Welch himmelhohe Ausmaße mussten da erst jene mythischen Urwesen gehabt haben,
die ein so gewaltiges Werk wie die Weltschöpfung zustande brachten.
Was allerdings in diesen archaischen Weltentstehungsmythen überhaupt nicht vorkommt, sind Zahlen. So mischt sich denn auch
bei Paul Gauguin zum anfänglichen Entzücken zunehmend wohlwollende Skepsis:
Es ist ein rührendes Schauspiel für mich, wenn die alten Gottheiten allmählich in Tehuras Erinnerung erwachen und die künstlichen
Schleier abwerfen, in die protestantische Missionare sie glaubten einhüllen zu müssen.
In der Tat wird die Spurensuche nach den Ursprüngen und Wanderbewegungen der mystischen Sieben durch ebenjene Vermischung
archaischer Mythen mit den Religionsmythen der jeweils eindringenden Kulturen erschwert. Wie wollte man etwa zweifelsfrei
feststellen, ob der folgende Ursprungsmythos der westafrikanischen Dogon gänzlich frei von importierten Elementen ist:
Zuerst war Amma. Dieser schuf ein Ei. In dem Ei waren Feuer, Luft, Erde und Wasser.
Inwieweit archaische Ursprungsmythen teils in den Weltreligionen wirksam sind, mögen drei Beispiele zeigen. So hat sich etwa
die asiatischarchaische Vorstellung von einem Welt-Ei sowohl im Hinduismus als auch im Daoismus erhalten. Bei ersterer Religion
schlüpfte aus besagtem Ei Brahma – neben Vishnu und Shiva einer der Hauptgötter des Hinduismus, nach daoistischen Vorstellungen
indessen teilte sich das im Welt-Ei waltende Chaos in die Grundprinzipien Yin und Yang. Auch die biblische Schöpfungsgeschichte
folgt – wollte man etwa den Zentralbegriff »Gott« daraus entfernen – zunächst detailgenau dem Ablauf archaischer Kosmogonien:
Und Gott machte die Wölbung und schied die Wasser unterhalb der Wölbung von den Wassern, die oberhalb der Wölbung waren. (…)
Und Gott nannte die Wölbung Himmel. (Genesis 1.7 f)
So weit, so »typisch« archaisch. Doch dann geht es so weiter:
Weiter schuf Amma aus sich 266 kosmische Zeichen. Diese legte er zusammen mit Pflanzensamen auf eine Scheibe und ließ diese
drehen. Dadurch wurde das Wasser hinausgetrieben und die Samen vertrockneten.
Wie anders als durch einen erneuten Versuch – angereichert durch entsprechend wirksamen Zauber – hätte Amma die misslungene Schöpfung wohl retten können?
Diesmal legte er die Samen in das Zentrum des kosmischen Eis. Da hinein sprach er sieben Worte in der heiligen Sprache (Nyama).
Die Samen erzitterten sieben Mal und dehnten sich in sieben Richtungen, und plötzlich hob sich in der Mitte eine menschliche
Gestalt ab. Die siebente Richtung durchbrach die Schale und wurde unsere Welt. Weitere sieben Segmente oder Sphären bilden
den Himmel.
Erst der Mensch, dann die Erde, Tiere und Pflanzen – schließlich der Himmel? Und über allem die Sieben? Warum nicht, so könnte
man in Anbetracht der bei den Dogon erstaunlich hochentwickelten Astronomie fragen, wo man doch auch
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