Siebenpfahl (German Edition)
als
Dauergebrüll zu hören. »Ich glaube, Kathars Männer haben soeben das Burgtor
gestürmt«, befürchtete Johann und sah mit ernstem Blick zu Krummhold hinüber,
der das Gefäß mit der Flüssigkeit in Händen hielt und damit begann, die
Flüssigkeit über den Stein zu gießen. Dieser verfärbte sich rötlich – sofort nachdem
ihn der erste Tropfen benetzt hatte.
Wie schon beim Zeitsprung vor einer Woche nahm die Verfärbung mit
jedem Tropfen Flüssigkeit, der ihn benetzte, mehr zu. Dann trat Nebel aus ihm
heraus, der sich über den Boden bis hin zur Wand des Burgzimmers ausbreitete
und an ihr emporstieg.
Gebannt sahen die Jungen auf das Geschehen, wobei sie sich ab und
an besorgte Blicke zuwarfen. Die Spannung stieg ins Unermessliche. Was würde
auf sie zukommen? Würden sie in den nächsten Sekunden eine Reise durch die Zeit
machen? Wenn ja, in welche Zeit würden sie gelangen? Oder würde es Siebenpfahl
und Kathar doch noch gelingen, vorher den Turm zu stürmen und ihnen den
Zeitsprung in letzter Sekunde zu vermasseln?
Der Stein leuchtete jetzt grellrot und der Nebel bedeckte bereits
die Wände. Langsam begann er sich zu drehen. Es sah aus, als ob sie in einer
Spirale säßen, die immer schneller und schneller wurde. Das grellrote Licht verlieh
dem Nebel ein geheimnisvolles Aussehen und ließ ihn wie eine Plastikwand aussehen.
»Ich rufe euch zu kommen!«, sprach Krummhold und hob die Hände empor …
Conrad sah das grellrote Licht, das sich aus den Turmfenstern
herausbohrte. In einem Umkreis von etwa fünfzig Metern, rund um den Turm,
erhellte es den Nachthimmel auf gespenstische Weise. Auch die Menschen unten in
der Stadt, von denen die meisten mit dem Versorgen der Verwundeten beschäftigt waren,
blickten immer wieder ehrfurchtsvoll zur Burg hoch. Auch sie sahen das Leuchten,
von dem sie alle nicht wussten, was es zu bedeuten hatte.
Der Kampf um die Burg stand kurz vor seiner Entscheidung.
Kathars Männer waren unerbittlich und hatten nur noch wenige der
Wachmänner vor sich. Kathar befand sich direkt in vorderster Front. Siebenpfahl,
der bei ihm war, sah fassungslos zu den Turmfenstern hoch. Wieso hatten sie die
Tücher abgenommen, so fragte er sich. Hatten sie herausgefunden, welchen Zweck
sie erfüllten?
Nur noch wenige Meter bis zum Turm …
*
K rummhold legte die Flasche zurück in die Kiste und richtete sich
auf, als sie Geräusche vernahmen. Sie machten den Eindruck, als kämen sie aus weiter
Ferne. Einmal waren es Kirchenglocken, dann lachende und wiederum weinende
Kinder, Gebete, Stimmengewirr, wie von gut besuchten Marktplätzen,
Kriegsgeschrei und Kanonenschüsse, Gelächter, Jubel und Musik. Es hörte sich
wie ein Zeitraffer durch die Zeit der Jahrhunderte an.
Die Nebelspirale hatte eine atemberaubende Geschwindigkeit erreicht.
Ein dunkles Wummern, begleitet von kesselpaukenartigen Schlägen, machte sich
breit, als plötzlich ein Gesicht über ihnen erschien. Es war durchsichtig, aber
dennoch gut zu erkennen. Gebannt starrten sie es an. Es begann zu lächeln, dann
huschte es zwischen ihnen hin und her. Einmal befand es sich direkt vor Marcel,
dann wieder vor Leon. Dann huschte es zu Krummhold, vor dem es eine kurze Zeit
verweilte, dann zu Christopher und wieder zurück in seine Ausgangsposition,
etwa zwei Meter über sie. »Ihr habt es tatsächlich geschafft, was ich nicht für
möglich gehalten hatte!«, sprach es mit verhallter Stimme. »Ihr werdet nun
wieder in eurer Zeit ankommen. Genau zu dem Zeitpunkt, zu dem ihr sie verlassen
hattet. Alles was in dieser Woche geschah, ist damit nichtig und hatte keinen
Einfluss auf die Geschichte. Alle Menschen denen ihr begegnet seid, haben ihr
Leben, ungeachtet der Geschehnisse in dieser Woche, ganz normal fortgesetzt.
Ich wünsche euch viel Glück und möchte euch mit auf den Weg geben, auch weiterhin
vorsichtig und wachsam zu sein. Sprecht mit keinem Menschen je darüber, was ihr
erlebt habt und bildet einen Treuebund. Egal, an welchem Ort auch immer ihr
euch gerade auf der Welt befindet, kommt zusammen … wenn einer von euch die
anderen ruft!«
Dann verblasste das Gesicht und verschwand. Die Geräusche
schwächten ab und Kälte wurde spürbar. Marcel musste an seinen Traum denken,
den er in der Nacht vor dem Zeitsprung hatte, als plötzlich ein lauter Schlag
von unten aus dem Turm zu hören war und er den Kopf herumriss. Christopher konnte
zwar noch fragen, was das gewesen sei, doch dann verloren sie alle das
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