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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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hat?«
    »Sagen wir, ich habe mir die Konstellation angesehen und eins und eins zusammengezählt.«
    Um Raya Hosseinis Mund spielte ein Lächeln. Spöttisch. »Da wären Sie dann die Erste.«
    Ich bin gegenüber den Kollegen von damals im Vorteil, hielt Em ihr im Stillen entgegen. Ich weiß, dass Jenny Dickinson das Opfer eines Täters wurde, der es auf Mörder abgesehen hat. Mörder, die dem Gesetz durch die Maschen geschlüpft sind.
    Laut sagte sie: »Mochten Sie Jenny Dickinson?«
    »Sie meinen vorher?«
    Em nickte.
    »Nein.«
    »Wieso nicht?«
    »Sie war nur nett zu uns, solange meine Eltern in der Nähe waren. Sobald sie aus der Tür waren, änderte sich ihr Verhalten von Grund auf.«
    »Hat Frau Dickinson Sie oder Ihre Schwester misshandelt?«
    »Ach was. Das nicht.« Sie schüttelte ihre unbändigen Locken. »Sie war bloß genervt. Sie hasste diesen Job. Was ich verstehen kann, nebenbei bemerkt. Ich hätte auch keinen Bock, auf anderer Leute Kinder aufzupassen, noch dazu auf solche, deren Kinderwagen mehr gekostet hat, als man selbst in drei Monaten verdient.«
    Ems Augen blieben einmal mehr an Raya Hosseinis Outfit hängen.
    Die Studentin bemerkte es und lachte. »Ja«, gab sie fröhlich und unverblümt zu. »Vom Familienvermögen ist noch eine ganze Menge übrig, wie Sie sehen.«
    Doch Em war keineswegs die Bitterkeit entgangen, die in der harmlosen Bemerkung mitschwang. »Frau Dickinson hat Sie und Ihre Schwester also nicht explizit schlecht behandelt«, griff sie das Gespräch wieder auf.
    »Nein.« Raya Hosseini schüttelte den Kopf. »Meistens ließ sie uns einfach machen. Außer wenn ihr Freund kam.« Ihr Lächeln bekam eine andere Qualität. »Dann sperrte sie uns in meinem Zimmer ein.«
    »Jenny Dickinson hatte einen Freund damals?«
    »Eine Zeit lang, ja.«
    »Und den traf sie in Ihrem Elternhaus?«
    »Wo denn sonst? Meine Eltern ließen sie ja praktisch nie weg.«
    »Sprach sie damals schon Deutsch?«
    Raya Hosseini zuckte die Achseln. »Genug, um uns klarzumachen, dass sie uns für den letzten Dreck hielt.«
    Em blickte sich nach der verspiegelten Wand um, hinter derZhou und Koss saßen. »Erinnern Sie sich zufällig noch an den Namen dieses Freundes?«
    »Nein, aber der war sowieso nicht mehr aktuell, als das mit meiner Schwester passierte.«
    Schade, dachte Em. Wäre immerhin eine Möglichkeit gewesen … »Wie ich höre, studieren Sie Psychologie?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    Raya Hosseini war sichtlich irritiert über den Themenwechsel. »Es interessiert mich.«
    »Jenny Dickinson war auch Psychologin, wussten Sie das?«
    »Ja.« Sie lachte verächtlich. »Das Leben hat ganz schön Humor, was?«
    Em nickte. »Was ist mit Ihren Eltern?«
    »Sind tot.«
    »Alle beide?«
    »Sie stürzten mit dem Flugzeug ab«, erklärte sie mit unbewegter Miene. »Auf Ibiza. Mein Vater hatte einen Pilotenschein. Aber an diesem Tag flog ein Freund meiner Eltern.«
    Oh Mann, dachte Em, bei manchen kommt es wirklich dick.
    Ihr Gegenüber schien zu ahnen, was in ihr vorging. »Sie wissen doch bestimmt, was man Psychologen nachsagt, oder?«, setzte Raya Hosseini an.
    »Nein. Was?«
    »Man sagt, die meisten von ihnen hätten nur Psychologie studiert, um herauszufinden, warum sie den Knall haben, den sie haben …«
    »Trifft dieser Grundsatz auch auf Sie zu?«
    Sie lachte. »Tja, bei mir war die Sache vergleichsweise eindeutig, wenn Sie so wollen: Sensible Sechsjährige muss mit anschauen, wie das böse Kindermädchen ihre kleine Schwester in den Teich wirft.«
    »Sie haben das alles gesehen ?«, fiel Em ihr ins Wort.
    »Ja.«
    »In der Akte steht …«
    »Ich weiß, was in der Akte steht.« Ihr Ton war mit einem Mal scharf. »Aber ich war sechs damals.«
    »Was heißt das?«
    »Sie haben mich gefragt, ob ich das Törchen zum Teich aufgelassen habe, und ich habe Nein gesagt.« Ihr Blick verschloss sich. »Das war’s.«
    »Aber Ihren Eltern haben Sie doch gewiss erzählt, dass Sie …«
    »Na klar«, antwortete sie. »Bloß später.«
    »Wie viel später?«
    »Keine Ahnung. Zwei oder drei Jahre später.« Sie lehnte sich zurück, und zum ersten Mal im Verlauf dieses Gespräches zeigte sie Anzeichen einer inneren Anspannung. »Ich war sechs, wie gesagt. Alle Welt erzählte mir, ich hätte den Tod meiner Schwester verursacht. Mein Vater schrie mich an. Meine Mutter heulte zwei Wochen am Stück.«
    »Ich verstehe.«
    Für einen Moment sah Raya Hosseini aus, als wolle sie sagen: Einen Scheißdreck verstehen Sie. Doch sie

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