Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)
du?«
Ich rubbelte den braunen Schmutzrand von ihrem Hals, kämmte ihr die matten, strubbeligen Haare, kratzte die Trauerränder unter ihren Fingernägeln weg.
»Vergewissern Sie sich, dass keine Fremdkörper mitgewaschen werden.«
Nachdem ich sie abgetrocknet hatte, brachte ich sie in ihr Zimmer und reichte ihr den Trainingsanzug, den ich gewaschen, gebügelt und zwei Nächte lang in eine Schublade voller Lavendelsäckchen gelegt hatte. Dann ging ich hinunter und schloss mich in meinem Zimmer ein. Mir dröhnte der Kopf, als ich das Chinesisch-Wörterbuch aufschlug.
Dort standen die Radikale ordentlich in Reih und Glied, und da waren das Gras und der Berg, die Sonne und das Dach, der Bambus und das Gold. Dort drinnen war die ganze Welt, und übermorgen würde ich wie jeden Dienstag zu Wen gehen und sie lernen.
Am Wochenende setzte ich mich am frühen Morgen an den Schreibtisch. Wenn ich aus dem Fenster schaute, sah ich lauter Häuser, die genauso aussahen wie unseres und aus denen Menschen nur kurz herauskamen, um den Abfall wegzubringen. Ich sah diesen stanniolgrauen Himmel, ein Grau, das vom Licht nicht durchdrungen werden konnte, ein Grau, jenseits von Tag und Nacht, von Gut und Böse.
Ab und zu tauchten ein paar Jugendliche auf, die ein altes Mütterchen ausraubten, ich sah, wie sie die alte Dame baten, ihnen ihr Handy auszuleihen, wie sie es ihnen lächelnd reichte und die Jugendlichen dann davonrannten, während hinter ihnen wieder eine Afrikanerin aus der Tür trat, um den Müll rauszubringen.
Radikal für »Abfall«: das Gleiche wie für »Inspiration«.
Ich nahm meinen schwarzen Lieblingsfilzstift, der eine weiche Spitze, wie bei einem Pinsel, hatte, und schrieb die Schriftzeichen ab. Jedes bekam eine eigene Seite, manchmal auch mehr. Das machte ich wieder und wieder, bis ich es intus hatte und das Schriftzeichen schreiben konnte, ohne hinzuschauen. Seite für Seite. Eine Prärie aus unumstößlichen Bedeutungen, die die Chinesen vor Jahrtausenden in die Welt gesetzt haben und ohne die auch heute noch niemand auskommt.
Ich aß mit meiner Mutter, brachte den Müll raus, sammelte die verhunzten Klamotten ein und fing wieder an zu schreiben. Es stimmt nicht, dass ich der vierte Ton bin. Wenn ich einfach nur schreibe, dann kann ich der sein, der zuerst ein bisschen fällt und dann wieder steigt, und ich war am Steigen.
Am Sonntag, dem dreizehnten Januar, um zehn nach zehn, ließ ich das Chinesisch sein, ging auf den Flohmarkt und kaufte drei Schreibhefte mit himmelblauen Seiten. Auf dem Rückweg lieh ich den isländischen Film aus und schaute mir noch die Hülle an, während ich das Geschäft verließ, sodass ich die Margerite nicht bemerkte, die mir entgegenkam, denn wie hätte ich jemals sagen können, dass ich es war, die ihr entgegenkam? Eine Margerite, die nur auf mich wartete, eine gewachsene Lolita, im Pseudo-Gucci-Hochzeitskleid, die mich auf der Wiese erwartete, so wie der Sensenmann auf dich wartet, um dich zu töten, doch sie wollte mich zum Leben erwecken, und dann wurden unter meiner Schuhsohle doch nur sieben schlammig-weiße Blütenblätter daraus, und der Stängel, der unter meinem Schuh herausragte wie das Bein eines Verschütteten nach einem Erdbeben.
Als ich sie von meinem Schuh abkratzte, wurde es Abend.
Als ich zu Hause ankam, war ich ein Eiszapfen.
Ich legte die DVD in den Computer ein.
Meine Mutter tauchte mit wütender Miene im Wohnzimmer auf.
Ich dachte, sie sei wütend, weil ich ihr nicht genügend Müsli dagelassen hatte, aber stattdessen machte sie mir ein Zeichen, ich solle ihr auf ihr Zimmer folgen. Mit finsterer Miene zeigte sie auf das Zeichen für »Hass« und die englische Übersetzung, die ich daneben auf den Tisch geschrieben hatte; dabei war das gar nicht so schlimm, weil es keine unauslöschliche Tinte war. Höchstens ein bisschen. »Aber Mama, entschuldige, warum bist du denn so böse? Dir ist dieses Haus doch sowieso schnuppe.«
Ja, aber du hasst mich doch nicht, oder?
»Ganz gewiss nicht, jetzt schau mich nicht so an, was soll ich denn sonst schreiben, ›Liebe‹ zum Beispiel? Entschuldige, aber der Radikal für ›Liebe‹ sind die Klauen, siehst du sie, direkt über dem Herzen. Dagegen schau mal hier, das Zeichen für ›Hass‹, dort steht über dem Herzen die Abenddämmerung, und niemand tut sich weh.«
Ich ging in die Küche, machte den Kühlschrank auf.
Aus dem Computer ertönte die belämmerte Erkennungsmelodie einer englischen Serie.
Ich
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