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Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Titel: Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola Di Grado
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wandte mich Jimmy zu, der einen Pfirsich schälte.
    »Gehen wir aufs Klo, Jimmy.«
    »Bin ich schon gewesen.«
    »Ich weiß, aber ich hab dir gesagt, du sollst jetzt mit mir mitkommen.«
    »Ich schwör’s dir, dass ich schon gewesen bin.«
    »Scheiße, stehst du jetzt endlich auf, du Idiot!«
    Ich warf den Pfirsich auf den Boden. Er schaute verblüfft der Frucht nach, die über den Boden kullerte. Ich warf auch das Messer hinterher, das sich drehte und dabei einen vollkommenen Kreis beschrieb. An diesem Punkt stand er auf und schaute mich seltsam an.
    Ich ging vor ihm her, wobei ich die gesamte Masse an sitzenden Fahrgästen betrachtete, ihre Pseudobücher über Zen und die richtigen, in denen sie ihre Fahrkarten aufbewahrten. Sie hatten ihre schweinchenrosa, unbehaarten Beine schamlos auf den Sitzen vor ihnen ausgestreckt, und überall wuselten kleine Mädchen mit himmelblauen Augen herum, die von Sitz zu Sitz turnten. Eine von ihnen hatte eine Kartoffelnase und rief: »Jetzt bin ich dran«, wer weiß, was für ein Spiel sie da spielten, aber genau das war es wahrscheinlich: sich von einem Sitz zum nächsten zu hangeln, weil der Zug sich bewegte, weil wir alle am Leben sind, und wenn du auch nur einen Moment stillsitzt, wirst du sterben. Ich selber bewegte mich auch immer weiter, auch wenn mir der Bauch höllisch wehtat, ebenso wie der Rücken und die Nieren, und sich bei jedem Schritt mehr heiße Flüssigkeit zwischen meine Beine ergoss.
    Ich wusste, dass das nicht ewig so weitergehen konnte, dass mir das Blut nicht bis zu den Fußknöcheln fließen konnte, doch allein schon der Gedanke verlängerte das Rinnen um einen weiteren Zentimeter, ich spürte, wie es über meine Oberschenkel floss, wie es die Kniekehle füllte, o Gott, jetzt hatte ich es auch noch auf dem Fuß!
    »Was ist denn, Camelia, was sagst du denn?«
    Nein, es ist kein Blut, es ist nur der Nagellack!
    Wir betraten das Klo, in dem wir zusammen nur Platz hatten, wenn wir uns eng an die Wand quetschten, einer über dem anderen, eingeklemmt zwischen Toilette und Waschbecken.
    Ich, die ich das Klo mit dem Schildchen »Do not throw anything into the water closet«, anschaute, er, der mir unbeholfen die Hose auszog, sich an meiner Brust festsaugte wie ein Mollusk auf den Felsen, eins von den Viechern, die ich als kleines Mädchen immer vom Stein ablösen wollte, was aber unmöglich war, und mein Vater sagte dann: »Dafür brauchst du ein Messer.«
    »Um was zu machen?«
    »Oh, nichts, Jimmy, nichts, mach weiter.«
    »Du bist so komisch.«
    »Ruhig, ich hab keine Lust zu reden.«
    Er drang in mich ein, und man hörte immer noch das Lärmen des Sturms. Ich schloss die Augen, Jimmy fuhr fort mit dem Stoßen, das Blut lief mir weiter aus dem Loch, das nie satt wird, dann schlüpfte Jimmy aus meinem Fleisch, mit blutiger Nabelschnur wie ein Neugeborenes, und fing an zu weinen. Von seinem Schwanz rann eine Mischung aus Blut und Sperma.
    »Aber was haben wir da angerichtet, Camelia, o Gott!«
    Er setzte sich auf den Boden.
    »Mach dir keine Sorgen, man kann nicht schwanger werden, wenn man seine Tage hat.«
    »Nein, das ist es nicht, bloß, mein Bruder wird uns umbringen.«
    Er hockte auf den schmutzigen Fliesen.
    »Ich und dein Bruder sind nicht zusammen, willst du das jetzt endlich kapieren oder nicht?«
    »Er glaubt das schon.«
    »Aber was redest du denn? Hat er dir das gesagt?«
    »Nein, aber es war genauso.«
    »Was soll das denn heißen, es war genauso?«
    »Da war vor zwei Jahren ein anderes Mädchen, von dem er gesagt hat, er sei mit ihr zusammen.«
    »Na und? Jetzt red schon weiter, Mann.«
    »Sie und ich haben miteinander geschlafen, so wie du und ich. Als Wen das gemerkt hat, hat er gesagt, Lily sei seine Freundin, und dass er uns alle beide umbringen will.«
    »Und wieso hat er es sich dann anders überlegt?«
    »Nein, er hat es sich nicht anders überlegt.«
    »Jimmy …«
    »Was denn?«
    »Wo ist Lily denn jetzt, wo zum Henker steckt sie?«
    Der Lärm des Unwetters, das Quietschen der Geleise, das Reden der Menschen, als wäre da nicht schon genug Lärm, und genau das sind wir – Lärm, der sich mit Lärm verbindet.
    Ich stand neben dem Klo und schaute ihn gespannt an.
    »Was willst du sagen, Camelia?«
    »Wie, was will ich sagen? Bist du blöde oder was? Ich will wissen, ob sie noch lebt oder nicht.«
    »Natürlich lebt sie noch.«
    »Verdammt noch mal, du hast doch gesagt, Wen wollte sie umbringen.«
    »Ja, aber stattdessen hat er jetzt mich

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