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Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Titel: Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola Di Grado
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war, wer weiß, ob sie noch lebte, aber ich schlief voll bekleidet ein und schlief fünfzehn Stunden.
    In meinen Träumen war der Körper von Jimmy, und da waren die Wellen, komprimiert in meinem Gehirn, und ich fürchtete mich davor, aufzuwachen, weil ich Angst hatte, alles würde mir aus den Ohren herauskommen, mir das Gehirn zerfetzen, und deshalb sagte ich zu ihm: »Jimmy, dring weiter in mich ein, ich will noch einmal kommen, ich will, dass ein bisschen von diesem Wasser hier herausgeht«, aber er sagte zu mir: »Schau mal, es ist rot, dein Wasser ist rot«, und ich lachte, ich weinte, bis dieses obszöne Geräusch den Traum durchdrang, es waren Sprünge ins Wasser, »Platsch«, einer nach dem anderen, und ich schrie: »O Gott, Jimmy, es ist Lily, die gegen die Grotte drückt, sie kommt aus dem Fels heraus, hörst du es, es ist ihre Leiche, die zu uns hereinkommt, schnell weg!« Doch er lächelte nur wie ein Buddha aus Plastik und sagte: »Schau mich nicht wie eine Bekloppte an, Lily lebt, ich bin gerade dabei, sie zu bumsen, es ist so schön, bis zu unserem Tod, o ja, o ja …«, und ich versuchte mich herauszuwinden, und das Platschen ging weiter, es klopfte an meine Haustür, und ich wachte auf. Jemand klopfte laut an die Tür.
    »Aber wer zum Teufel …«
    Ich stand benommen auf, mir tat der Kopf weh. Es kam uns doch nie jemand besuchen.
    »Wer ist da?«
    »Ich bin’s, Wen.«
    Ich machte auf. »Wen, was machst du denn hier?«
    Er hatte einen riesigen schwarzen Pullover an und die falschen Converse.
    »Entschuldige, Camelia, ich … ich hab mir Sorgen um dich gemacht.«
    »Wieso?«
    »Weil du nicht zum Unterricht gekommen bist. Ans Handy gingst du nicht ran. Hast du denn vergessen, dass wir uns für neun verabredet hatten?«
    »Aber ist heute nicht der neunzehnte März zweitausendacht?«
    »Nein, Camelia, entschuldige, aber … Na ja, heute ist Donnerstag.«
    »Donnerstag, der zwanzigste März, zweitausendacht?«
    Jedes Mal die Daten genau auszusprechen, verschaffte mir einen wohligen Schauder, wie bei einem Orgasmus.
    »Ja, klar.«
    »Ich hab eben lange geschlafen, ich war furchtbar müde.«
    »Geht es dir nicht gut?«
    »Doch, das heißt, ein bisschen schlecht geht es mir schon, der Bauch. Aber das ist normal.«
    »Lässt du mich nicht rein?«
    »Nein, was denkst du denn, das geht nicht.«
    »Warum nicht? Du bist doch auch zu mir nach Hause gekommen.«
    »Ja, aber meine Mutter ist da.«
    Bei ihrer Erwähnung fiel mir ein, dass es sie ja tatsächlich noch gab. Der Gedanke an sie hatte manchmal in meine Träume gespäht, so wie ein Rabe aus einem Baum lugt, aber ich hatte einfach nicht hingeschaut und träumte weiter. Jetzt, als ich sie erwähnte, stürzte ihre Existenz jedoch mit ihrer ganzen Tragik auf mich herein. Wie hatte ich sie nur vergessen können? Ich lief in ihr Zimmer und ließ Wen hinter der angelehnten Tür stehen.
    Livia stand am weit aufgerissenen Fenster. Ich hörte Wens Schritte im Haus. »Nicht reinkommen, Wen, bin gleich wieder da!«
    Meine Mutter drehte sich um und fing zu lächeln an, ein ganz langsames und entschiedenes Lächeln, wie bei einer Plastikpuppe, vielleicht Chucky, der Mörderpuppe.
    »Wie geht’s, Mama?«
    Sie rieb sich die Augen und antwortete mit einem Blick, der bedeutete: Du musst es ihm jetzt sagen, was du mit seinem Bruder machst, aber dass du in ihn verliebt bist, damit die widerlichen Sachen, die du treibst, endlich ein Ende haben.
    »Halt die Klappe, bis vor Kurzem hat es dich noch überhaupt nicht gekümmert, ob ich irgendwelche widerlichen Sachen mache, es hat dir gereicht, dass ich dich gewaschen und bedient habe, und außerdem sind es keine widerlichen Sachen, es ist das, was ich will, und Wen ist ein Arschloch! Wirst du das denn endlich kapieren?«
    Du bist eine Enttäuschung, und du machst Sachen, die unmoralisch sind.
    »Du bist unmoralisch! Du bist eine beschissene Mutter! Seit drei Jahren bin ich deine Sklavin, verflucht noch mal!«
    Du hast kein Herz, wie schade, und du redest wie ein Waschweib.
    »Ich leide auch, kapierst du das jetzt oder nicht?«
    Wenn du es diesem armen Jungen nicht sagst, dann sag ich ihm jetzt, was du mit seinem Bruder machst, bei Gott, auch nur ein Körnchen Aufrichtigkeit kostet dich so viel, du kommst mir vor, als wärst du nicht mehr meine Tochter.
    »Halt die Klappe!«
    Ich hob den Zimmerschlüssel vom Boden auf.
    Anscheinend willst du, dass er dich umbringt, so wie er es mit diesem anderen Mädchen gemacht hat,

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