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Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Titel: Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola Di Grado
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stimmt’s?
    »Aber was redest du denn, Wen könnte keiner Fliege was zuleide tun! Diese Lily ist nicht tot! Jimmy ist verrückt, der redet viel, wenn der Tag lang ist.«
    Ach so, dann ist es also wahr, dass du dich umbringen willst. Warum, mein Schatz? Warum willst du deinem Leben ein Ende bereiten? Das kann ich nicht zulassen. Ich gehe jetzt hin und sage es ihm.
    »Vergiss es!«
    Ich ging hinaus. Schloss ab. Ich hörte, wie sie mit den Fäusten an die Tür trommelte, als ich die Treppe hinunterging.
    »Alles in Ordnung, Wen. Komm in die Küche, ich mach dir einen Tee.«
    »Aber was ist denn da drinnen passiert?«
    »Nichts, nichts, ich hab was gesucht. Möchtest du einen mit Himbeergeschmack?«
    »Ja, klar.«
    Er setzte sich, ich räumte die noch schmutzigen Teller vom Tisch, schaltete den Wasserkocher ein. Er schaute sich die verkokelten Topflappen über der Spüle an, dann den schwärzlich verfärbten Schwamm, dann die runden Kaffeeflecken und die Marmeladenbrotkrümel auf dem Tisch. Dann dann dann, er hörte nicht auf zu schauen, und alles war gleich weniger schmutzig. Sein Uhrgesicht mit den Pausbacken maß die Zeit, die bei mir zu Hause stehen geblieben war, er ließ sie weiterlaufen, es reichte schon, dass er sich umschaute, damit sie weiterlief.
    »Hast du mit deiner Mutter gestritten?«
    »Ja.«
    Ich drehte mich instinktiv zum Treppenaufgang, in Richtung ihres Zimmers, das man nicht sah. Sie hatte damit aufgehört, mit den Fäusten an die Tür zu trommeln.
    »Was schaust du?«
    »Nichts. Warum guckst du mich so an wie ein geprügelter Hund?«
    »Ich hab so ein Gesicht, entschuldige. Hör mal, dann bist du also deshalb nicht in den Unterricht gekommen, weil du den ganzen Tag geschlafen hast?«
    »Was weiß ich. Einen ganzen Tag … Nein, eigentlich keinen ganzen Tag, für wen hältst du mich denn?«
    »Das hast du gesagt.«
    »Na ja, okay … ich hab auch einen Film gesehen.«
    »Was für einen Film?«
    » The Hole.«
    »The Hole ….«
    »Ja, das ist ein amerikanischer Film, und es geht um zwei Jungs, die sich in einem Loch, einem Bunker, verstecken. Dann kommt der Freund, der den Schlüssel dazu hatte, nicht mehr, und sie sterben.«
    »Aber den Schlüssel hatte doch das Mädchen, das in dem Bunker drin war.«
    »Was sagst du da?«
    »Ich schwöre es dir, entschuldige, aber ich hab den Film gesehen.«
    »Ich hab ihn doch auch gesehen. Und außerdem, wenn die den Schlüssel gehabt hätte, ergäbe das doch alles keinen Sinn, dann hätte sie doch aufgesperrt. Warum hat sie alle sterben lassen?«
    »Weil ihr der Typ gefiel, der mit ihr in dem Bunker war.«
    »Na gut, was soll das schon heißen, sie hätte ja auch aus dem Bunker draußen bleiben können.«
    »Nein, weil er sich außerhalb des Bunkers nicht um sie scherte.«
    »Na, das erfindest du aber jetzt, ich hab den Film gesehen, und es ist nicht so, wie du sagst.«
    »Hast du ihn bis zum Ende gesehen?«
    »Mhm … nein.«
    »An einem bestimmten Punkt merkt man nämlich, dass es alles ganz anders war.«
    »Wen.«
    »Ja.«
    »Da gibt es etwas, über das ich mit dir reden möchte.«
    »Und das wäre?«
    Der Kocher machte einen Höllenlärm, genau das Geräusch, das das Gewitter an den Zugfenstern gemacht hatte, aber auch die Wellen, die auf den Sand gedonnert waren, und das, was im Körper des Meeres vor sich ging, Fische, die andere Fische fraßen, die viereckigen Lichtflecken, die auf den Klippen tanzten, die nie aufhörten, sondern flossen wie das Blut, das in mir zog und zerrte. Der Kocher schaltete sich aus.
    »Und?«
    »Nein, nichts, war Blödsinn.«
    »Bitte für mich ohne Zucker.«
    »Aber dafür musst du mir etwas sagen.«
    »Und zwar?« Ein Geräusch. Ich drehte mich zu ihrer Tür hin, doch es kam von der Straße.
    »Nein, nichts, nichts. Schauen wir ein bisschen fern.«
    Ich schaltete Channel 4 ein, wo Shampoowerbung lief. Eine Frau, die blond bis in die Zehenspitzen war, schwor mir mit ihrem ach so lebendigen Lächeln, das mehr wert war, als wenn man tausend Mal auf irgendwelche Toten schwören würde, dass meine Haare mit ihrem Shampoo viel länger sauber blieben.
    Als Wen ging, machte ich die Tür meiner Mutter wieder auf, zog ihr den Jogginganzug aus, wusch sie und zog ihr den Pyjama an. Ich zählte an den Fingern ab, dass Wen unser vierter Besucher seit dem Unfall war. Das heißt, wenn wir die beiden Journalisten mitzählten.
    Am liebsten hätte ich das Fenster geöffnet und ein bisschen Luft hereingelassen. Doch meine Mutter schaute mich

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