Sieg des Herzens
die Situation der Konföderierten schlechter. Lee versuchte, die Unionssoldaten dazu zu zwingen, sich nach Osten zurückzuziehen, indem er die großen Städte der Yankees bedrohte; aber das schien nicht viel zu nützen.
Sydneys einziger Trost war, daß einer der neuen Gefangenen ihren Bruder Brent gesehen hatte. Da er in einem Krankenhaus außerhalb von Richmond arbeitete - einem für »besondere Krankheiten« -, hatte er nichts von der mißlichen Lage erfahren, in der sich seine Schwester befand. Der Soldat hatte auch gehört, daß es Jerome ganz gutging und dieser bereits wieder auf See war. Julian war mit der Armee von Nordvirginia unterwegs und Ian mit der vom Potomac. Nun könnte es also täglich passieren, daß Julian bei der Inspektion der Verletzten und dem Aussondern der Toten auf seinen eigenen Bruder stieß.
Als es an der Tür klopfte, zuckte Sydney erschrocken zusammen. Es war schon spät; um diese Uhrzeit kam sonst keiner mehr zu ihr. Erstaunt ging sie zur Tür, da die Gefängniswärter üblicherweise nicht klopften.
»Ja, wer ist da?« fragte sie zaghaft.
»Sind Sie präsentierbar, Miß Sydney?«
Sie mußte lächeln und entgegnete: »Ja, Sergeant Granger, ich bin noch angezogen.«
Daraufhin öffnete sich die Tür, und Granger sagte: »Sie haben Besuch, Ma'am.«
Halb hoffnungsvoll und halb besorgt zog sie eine Augenbraue hoch. Aber als Granger zurücktrat und Jesse Halston ins Zimmer ließ, der nun wieder seine blaue Kavallerieuniform trug, ging sie erschrocken ein paar Schritte zurück. Sie hatte den Eindruck, als ob der ganze Mief des Gefängnisses sich mit einemmal über sie legte. Als ob auch sie, wie die Soldaten, völlig erledigt sei und abgerissen und schmutzig aussähe. Und ihr gegenüber stand Jesse, schneidig und gutaussehend wie immer.
»Was um alles in der Welt wollen Sie denn von mir?« herrschte sie ihn dann aufgebracht an.
»Ich lass' Sie sich dann mal in Ruhe unterhalten«, sagte Granger, bevor Jesse noch auf ihre Frage antworten konnte.
»Nein«, schrie Sydney, »lassen Sie mich bloß nicht mit diesem Kerl allein!« Aber die Tür fiel unerbittlich ins Schloß.
Wütend wandte sie sich nun wieder Jesse zu, der mittlerweile an der Wand beim Fenster lehnte, durch das man auf die nächtlichen Straßen von Washington sah. Es war ein ganz kleines Fenster, aber immerhin ein Fenster. Sydney hätte es auch viel schlechter treffen können. Rose Greenhow hatte es benutzt, als sie hier im Gefängnis gewesen war, um weiterhin Nachrichten an kleine Reitergruppen zu leiten, die unten auf der Straße gewartet hatten.
Jesse, der langsam etwas ungehalten über Sydneys übertriebenes Verhalten wurde, sagte nun: »Sydney, wovor haben Sie eigentlich Angst? Habe ich Ihnen denn jemals etwas getan? Ich bin nicht hergekommen, um Sie in irgendeiner Form zu belästigen.«
Sydney, die sich gegen die Tür gelehnt hatte, fauchte ihn an: »Sie Mistkerl sind der Grund dafür, daß ich hier bin!«
»Nein, Sydney, das haben Sie sich selbst zuzuschreiben.«
»Wenn der Krieg vorüber ist, wird der Sieger festlegen, wie es war, und entscheiden, wer von uns recht hatte und wer nicht.«
»Es gibt Dinge, die moralisch verwerflich sind, Sydney; und Ihr Vergehen kann nicht einmal die Geschichtsschreibung ändern.«
»Also, warum sind Sie hier? Ich habe es satt, mich über den Krieg zu unterhalten. Wenn Sie nur gekommen sind, um mich damit zu quälen, können Sie gleich wieder gehen.«
»Ich bin nicht gekommen, um Ihnen mit meiner Unterhaltung auf die Nerven zu fallen.«
»Nun, ich empfinde es bereits als Qual, Sie nur hier zu haben. Wenn Sie nicht hergekommen sind, um mich hier rauszuholen, dann gehen Sie in Gottes Namen wieder.«
»Hm! Nun, ich bin tatsächlich gekommen, um Sie rauszuholen.«
»Wie bitte?« japste Sydney, der vor Erstaunen die Luft wegblieb.
»Ich sagte, daß ich hergekommen bin, um Sie hier rauszuholen.«
Sydneys Herz begann wie wild zu hämmern. Sie hatte solche Angst gehabt, daß ihre Familie versuchen könnte, sie mit Gewalt zu befreien. Ja, wenn einer der Jungs im Gefängnis gelandet wäre, wäre das etwas ganz anderes gewesen! Aber sie war eine Frau, und die Männer in ihrer Familie hätten es bei ihrer Ehre als Südstaaten-Gentlemen nicht auf sich sitzenlassen, daß sie hier drin blieb. Ohne zu überlegen, hätten sie ihr Leben riskiert, um sie zu befreien. Deshalb wollte Sydney unbedingt aus dem Gefängnis raus, bevor ihre Familie Wind davon bekam. Und um dieses Ziel zu erreichen,
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