Sieg des Herzens
Linien, Sir. Einer ihrer Reiter ist zu mir gekommen.«
Dieser Krieg war ein trauriges und merkwürdiges Wirrwarr von Zugehörigkeiten, manchmal sogar ein regelrechtes Vabanquespiel. Am Tag tobte der Kampf und äußerte sich in einem schwarzen, todbringenden Kanonen- und Kugelhagel oder durch blutige Bajonettspitzen. Aber in den Gefechtspausen wurden häufig persönliche Nachrichten zwischen den feindlichen Linien ausgetauscht, und die, die die Reiter hätten stoppen sollen, sahen beiseite, weil der Tag kommen könnte, da die eigenen Angehörigen versuchen würden, sie zu erreichen.
»Ist etwas mit meinem Bruder ...«, setzte Julian an, konnte aber nicht weitersprechen, da ihm die Kehle plötzlich wie zugeschnürt war. Befand sich Ian etwa hinter den feindlichen Linien? Julian wußte nie genau, wo sein Bruder gerade kämpfte.
»Nein, Sir, ich bringe keine Nachrichten von Ihrem Bruder drüben bei den Yankees. Es hat mit einer Dame zu tun.«
»Ist etwas mit meiner Schwester, meiner Cousine ...«
»Nein, Sir, die Nachricht kommt von einer anderen Lady. Einer Mrs. Tremaine. Sie arbeitet als Krankenschwester beim Gegner, Sir. Der Reiter, mit dem ich mich hin und wieder treffe, hat mir diesen Umschlag und strikte Anweisung gegeben, ihn direkt an Sie weiterzureichen. Und er hat gesagt, daß alles streng vertraulich bleiben muß. Aber ich soll Sie jetzt gleich mitnehmen, bevor das Kämpfen wieder losgeht. Die Lady muß unbedingt mit Ihnen sprechen, Sir, und zwar in der alten Episkopalkirche unten am Hügel.«
»Sie will mich sprechen?« fragte Julian verwundert und fühlte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Bestimmt wollte sie ihn warnen, oder es war ein Trick. Er hatte nicht vor, den Umschlag zu öffnen, und gedachte, ihn Dabney zurückzugeben.
»Teilen Sie ihr mit, daß ich nicht kommen kann.«
»Sie hat aber gesagt, es sei dringend, und Sie müßten unbedingt erscheinen, Sir.«
»Wie kommt diese Dame eigentlich dazu, mich zu sich zu beordern, wo ich anderswo viel dringender gebraucht werde?«
»Sir, das weiß ich wirklich nicht. Vielleicht sollten Sie den Umschlag doch öffnen.«
Das hatte er ja gerade vermeiden wollen! Er blickte auf das elfenbeinfarbene Pergament in seiner Hand und hätte es am liebsten zerknüllt, aber dann konnte er doch nicht umhin, den Brief zu öffnen, und er begann zu lesen:
»Captain McKenzie, ich weiß, wie ungern Sie meiner Aufforderung nachkommen werden, aber ich muß Sie unbedingt sprechen. Ich verlasse mich darauf, daß Sie sich wie ein Gentleman verhalten und mich nicht einem schambeladenen Schicksal überlassen; selbst wenn wir in Zeiten leben, da der Tod an jeder Ecke lauert. Sicher wollen Sie auch nicht, daß einem unschuldigen Wesen die Zukunft verbaut wird. Deshalb flehe ich Sie an, sich mit mir zu treffen. Unten auf dem Hügel steht eine kleine Episkopalkirche. Bitte kommen Sie sofort dorthin. Ich werde Sie auch bestimmt nicht lange von Ihren Kriegspflichten abhalten.«
Dabney Crane sagte kein Wort, betrachtete Julian aber mit unverhohlener Neugier. Der blickte, fest entschlossen, Desinteresse zu bekunden, von dem Schreiben auf und zu Dabney. Trotzdem raste ihm plötzlich der Puls, während er noch überlegte, was er von der Mitteilung halten sollte: Stritt sie nun endlich nicht mehr ab, was zwischen ihnen vorgefallen war - weil die Wahrheit Früchte getragen hatte? Er wußte gar nicht, was er bei dem Gedanken fühlen sollte. Aber bei der Vorstellung, daß sie die Wahrheit schrieb, erfüllte ihn eine wunderbare Wärme - trotz der Antipathie, die sie ihm entgegenbrachte, und der Tatsache, daß sie ihn manchmal richtig wütend machen konnte, verlangte es ihn nach ihr.
»Captain«, riß Dabney, der langsam unruhig wurde, ihn aus seinen Gedanken.
»Ich kann aber nur ein paar Minuten opfern. Hier sterben Menschen.«
Dabney schüttelte traurig den Kopf und sagte: »Das ist wohl wahr, Sir. Aber ich schlage vor, Sir, daß Sie - falls Sie diese Dame überhaupt sehen wollen - sich jetzt sofort ein paar Minuten freinehmen. Colonel Joe Clinton aus Georgia hatte sich auch einverstanden erklärt, letzte Nacht seinen Neffen Captain Zach Clinton aus Maine unten am Fluß zu treffen. Captain Zach ist auch erschienen, aber Colonel Joe war während des Tages gefallen.«
In Julian McKenzie spannte sich jeder Muskel. Was, wenn er sich weigerte, sie zu sehen, und er im Laufe des Tages starb? Und was, wenn sie tatsächlich ein Kind von ihm erwartete? Würde sie es dann mit dem Erbe und
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