Sieg des Herzens
der Erinnerung an einen anderen Mann großziehen - und auch mit dessen Namen?
»Sir?«
»Ich brauche mein Pferd ...«
Was Stolz doch aus einem Mann machen konnte!
»Nehmen Sie den alten Ben, Sir. Er ist ein gesundes Tier und schnell wie der Wind. Aber, Sir, Sie müssen jetzt sofort losreiten, bevor die Truppen munter werden.«
Und ehe ich mich's versehe, bin ich ein Deserteur, dachte Julian und verzog das Gesicht.
»Sir, es ist jetzt wirklich höchste Zeit«, trieb Dabney ihn zur Eile.
Julian zögerte noch. Er traute Rhiannon nicht, und das aus gutem Grund. Was, wenn das, was sie ihm geschrieben hatte, gelogen und nur dazu gedacht war, ihn zu sich zu locken? Vielleicht war alles doch nur ein Trick. Nun, dann würde sie ihm dafür bezahlen: Sie sollte bekommen, was sie haben wollte!
»Ich gehe sofort, Dabney. Wecken Sie schnell Pater Vickery, und sagen Sie ihm, er soll mir nachkommen, und zwar schleunigst.«
»Jawohl, Sir.« Dabney lächelte, entzückt darüber, dazu beigetragen zu haben, eine heimliche Romanze voranzubringen.
Julian nutzte Dabneys Angebot, dessen Pferd zu nehmen, und saß mit einem Satz im Sattel. Als er an die Umfriedung des Lagers kam, gab er sich den Wachen zu erkennen, durchbrach dann die eigenen Linien und lenkte das Tier ins Niemandsland zwischen Rebellen- und Yankee-Lager. Fast bei der Kirche angekommen, zog er dem Pferd die Zügel an und beobachtete von einer leichten Anhöhe aus, auf der noch ein paar wenige Bäume standen - die Überbleibsel eines kleinen Wäldchens, das vom Kanonenfeuer vernichtet worden war.
Die Kirche selbst befand sich jetzt mehr oder weniger auf freier Flur. Die Bäume und Büsche und die bewachsenen Äcker, die sie einst umgeben hatten, waren fast ausnahmslos während der Kämpfe des Vortages niedergemäht worden. Hätten Yankees die Kirche umstellt, hätte er sie sehen müssen. Im Schutz der Bäume stieg er vom Pferd und ließ seinen Blick noch eine Weile über das Terrain um die Kirche schweifen. Dann kauerte er nieder und arbeitete sich mit den Ellbogen Zentimeter für Zentimeter voran, bis er die Freifläche zwischen der Anhöhe und der kleinen Kirche hinter sich gebracht hatte. Als er das Portal erreichte, schob er die Tür einen Spalt weit auf und schlüpfte hinein, darauf achtend, dicht am Boden zu bleiben. In der Kirche verharrte er noch einen Moment in gebückter Haltung.
Rhiannon stand mit dem Rücken zu ihm und gebeugtem Kopf vor dem Altar - immer noch ganz in Schwarz. Ein Jahr war die übliche Trauerzeit - und Gott wußte, wie sehr sie den Tod ihres Richard beweint hatte! Aber für ihre Heirat mit einem anderen Mann war diese Bekleidung wohl kaum angemessen. Wenn sie wirklich mit ihm die Ehe eingehen wollte, dann doch nur, weil es die Umstände erforderten. Für sie bedeuteten es nur Worte und der Anstand, den er ihr schuldete. Innerlich trug sie noch immer
Trauer. Ein schwarzer Schleier hatte sich um ihr Herz gelegt, und er hatte nicht die Kraft, ihn zu lüften.
Immerhin schien sie allein gekommen zu sein, und mit einemmal schlug sein Herz schneller. Wieder ließ er sich Zeit und erhob sich aus seiner gebückten Haltung, ohne ein Geräusch zu verursachen. Da er ihr nicht zeigen wollte, wie aufgewühlt er war, lehnte er sich lässig an den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Sie haben mich herkommen lassen?« fragte er schließlich, so daß sie erschrocken herumfuhr und sich mit der Hand an den Hals griff.
Einen winzigen Moment lang vermeinte er im flackernden Schein der Kerzen eine Art Gefühlsregung in ihren teuflisch grünen Augen zu erkennen. Aber dann gewann sie wieder die Kontrolle über sich und verbarg, was auch immer sie quälen mochte.
»Sie sind also gekommen!« sagte sie schließlich.
Er zuckte mit den Achseln, rührte sich aber nicht vom Fleck.
Erstaunlich, aber sie schien alles tragen zu können. Ihr Trauergewand war einfach und der Arbeit in den Feldlazaretten angemessen. Sie war noch schlanker als sonst, schien übermüdet und erschöpft, wirkte jedoch immer noch majestätisch, würdevoll und wunderschön. Ihr Haar hatte sie sorgsam zurückgekämmt und in einem Knoten im Nacken zusammengenommen, den ein Netz zusammenhielt, es schimmerte blauschwarz im sanften Licht der Kerzen. Ihr Hals war lang und schön geschwungen, genauso wie ihre Finger, die immer noch an ihrem Hals lagen.
»Ich wiederhole: Sie haben mich herbestellt.«
Sie nickte und blickte dann zu Boden. »Ich habe Sie nicht kommen hören«,
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