Sieg des Herzens
Bewohner der Stadt hatten vor der Entscheidung gestanden, sich zu ergeben oder aber zu verhungern. Da man die letzte Ratte bereits verspeist hatte, wie sich ein Mann ausdrückte, blieb nur, sich zu ergeben.
Für die Bundestruppen war es ein großer Tag, und zu allem Überfluß auch noch der vierte Juli - der Tag, an dem normalerweise die Unabhängigkeit von der britischen Krone gefeiert wurde. Wenn nur das Problem mit all den Toten und Verwundeten nicht gewesen wäre. Als sich die Südstaatler zurückzogen, waren sie nicht in der Lage gewesen, all ihre Verwundeten unter den Toten zu finden und mitzunehmen.
Trotz allem hatte Lee Glück gehabt, daß Meade, wie so viele seiner Vorgänger, darauf verzichtete, ihm nachzusetzen. Das lag einfach daran, daß auch der Unionsgeneral mit den Verwundeten, die man hätte auf Karren laden müssen, nur sehr langsam vorangekommen wäre. Außerdem wären unterwegs womöglich Hunderte, vielleicht sogar Tausende ihren Verletzungen erlegen, und man hätte sie am Wegesrand beisetzen müssen - ohne Grabstein. So hätten vielleicht einige der Männer eine Chance, wenn die Unionstruppen für eine Weile in Gettysburg ihr Lager aufschlugen.
Einigen Soldaten paßte das allerdings überhaupt nicht, und sie murrten, daß man es doch nun ein für allemal hinter sich bringen könnte. Sie wollten Lee hinterher und ihn angreifen, solange seine Armee noch so geschwächt war. Sie glaubten, daß sie damit endlich den vermaledeiten Krieg beenden könnten. O Gott, wie sehr sie sich das alle wünschten!
Aber Meade entschied sich dagegen.
Julian ertappte sich dabei, daß er selbst hoffte, der Unionsgeneral würde Lee folgen. So verräterisch dieser Gedanke auch sein mochte, aber er hatte während des ganzen Krieges bisher noch nie ein derart überwältigendes Gefühl der Sinnlosigkeit gehabt. Seit zwei Jahren starben nun die Männer, und so viele Verletzte lagen immer noch draußen auf dem blutgetränkten Schlachtfeld. Es war quasi unmög-lich, die Lebenden von den Toten zu unterscheiden. Einige der Leichname begannen bereits zu verwesen, und die ersten Aasgeier stellten sich ein.
Und es war der vierte Juli... Ein merkwürdiger Tag! Bei den Yankees herrschte Hochstimmung. Das lag nicht nur an den beiden Siegen von Gettysburg und Vicksburg, sondern auch daran, daß man nun gesehen hatte, daß gegen Lees Truppen etwas auszurichten war: Man konnte sie nicht nur aufhalten, sondern auch bezwingen. Diese Erkenntnis in Verbindung mit dem geschichtsträchtigen Datum sahen viele als gutes Omen für einen letztlichen Sieg der Union. Doch während man zur Feier des Tages Gewehrsalven abschoß, lagen noch immer bedrohlich viele Tote auf dem Feld. Die Verletzten mußten so schnell wie möglich geborgen und die Toten beerdigt werden. Die Unmenge von Leichen könnte sonst nur allzu schnell zu tödlichen Krankheiten bei den Überlebenden führen.
Julian versuchte die Festivitäten ringsum zu ignorieren und sich auf die Verwundeten zu konzentrieren, die man ihm nach wie vor brachte. Die meisten der Männer, die nun auf dem Operationstisch vor ihm lagen, konnten gerettet werden. Die mit den tödlichen Verletzungen waren bereits auf dem Schlachtfeld gestorben. Julian fragte sich, wie viele von ihnen wohl noch zu retten gewesen wären, hätte man sie nur rechtzeitig gefunden und schleunigst vom Schlachtfeld gebracht.
Als er an diesem Nachmittag - immer noch im Lazarettzelt - eine Pause einlegte, bot McManus ihm einen Kaffee an, den er dankbar annahm. Während sie beisammenstanden und an ihren Blechtassen nippten, fragte Julian McManus: »Haben Sie irgend etwas von General Magees Truppe gehört?«
»Magees Truppe ist ganz gut davongekommen.«
»Und mein Bruder?«
»Gegen Ende des Debakels hat er mit seinen Männern Jeb Stuarts Truppe eingeschlossen und heute morgen ganz früh das Lager verlassen, um Washington Meldung vom Ausgang der Schlacht zu machen.« McManus hielt kurz inne, bevor er fortfuhr: »Soweit mir bekannt ist, wurde er nicht davon unterrichtet, daß man Sie gefangengenommen hat.«
Julian nickte, erleichtert darüber, daß sein Bruder den Kampf überlebt hatte und noch nicht einmal verletzt worden war. Hätte Ian gewußt, daß er sich hier befand, wäre er sicher vorbeigekommen. »Und meine Frau?« wollte Julian dann wissen.
Verwundert wiederholte McManus: »Ihre Frau?«
»Rhiannon Tremaine«, erklärte ihm Julian mit einem gezwungenen Lächeln. »Es war eine Blitzhochzeit - vor ein paar Tagen erst.
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